Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilferecht: Grundsicherung wegen Erwerbsminderung. Anforderungen an die Annahme einer Lebensgemeinschaft bei einer Wohngemeinschaft. Anrechnung von Einkommen eines Partners
Orientierungssatz
1. Lebt eine Bezieherin von Grundsicherung im Alter und wegen Erwerbsminderung in einer Wohngemeinschaft, so kann jedenfalls dann von einer Lebensgemeinschaft ausgegangen werden, wenn die Wohngemeinschaft schon längere Zeit besteht, die beiden Mitglieder dieser Wohngemeinschaft dabei schon mehrfach gemeinsam umgezogen sind (hier: fünf Mal), der Mitbewohner in der Vergangenheit die Betroffene mehrfach zur Bestreitung des Lebensunterhalts mit Geldzahlungen unterstützt hat und in anderen Zusammenhängen wiederholt als Lebenspartner bezeichnet wurde. Insoweit ist bei der Bedarfsermittlung das Einkommen des Mitbewohners zu berücksichtigen.
2. Einzelfall zur Beurteilung einer Wohngemeinschaft als Lebensgemeinschaft.
Tenor
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin B. wird abgelehnt.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten im einstweiligen Rechtsschutz um Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem 12. Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII).
Die am 20. Oktober 1955 geborene Antragstellerin bezog ab April 2005 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII. Infolge ihres Umzugs nach D. wurden die Leistungen zum 1. September 2006 eingestellt. Seit erneutem Zuzug in den örtlichen Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners steht sie seit März 2010 dort wieder im Leistungsbezug. Dabei erfolgt die Leistungsbewilligung unter Berücksichtigung von Einkommen des Herrn E., mit welchem die Antragstellerin eine gemeinsam angemietete Wohnung bewohnt. Zuletzt wurden ihr mit Bescheid der Gemeinde F. vom 4. Juli 2011 für die Monate Juli und August 2011 Leistungen iHv 874,92 EUR monatlich und für den Zeitraum September 2011 bis Juni 2012 auf 237,27 EUR monatlich bewilligt.
Gegen diesen Bescheid hat die Antragstellerin mit Schreiben ihrer Bevollmächtigten vom 13. Juli 2011 Widerspruch eingelegt sowie eine Abänderung der Bescheide für die Zeit vor dem 1. August 2010 beantragt.
Am 15. Juli 2011 hat sie beim Sozialgericht Stade das vorliegende Eilverfahren eingeleitet, in welchem sie im Wege der einstweiligen Anordnung die Verpflichtung des Antragsgegners zur Bewilligung von Leistungen nach dem SGB XII ohne Anrechnung des Einkommens des Herrn E. beantragt. Nach ihrer Auffassung besteht zwischen ihr und Herrn E. keine eheähnliche Gemeinschaft. Seit einer Subarachnoidalblutung im Jahr 1999 bestünden bei ihr neuropsychologische Defizite. Gutachterlicherseits sei 2004 eine Hirnleistungsstörung mit behandlungsbedürftigen kognitiven Defiziten, Einschränkungen der Konzentration, der Auffassung, der Logik und des Kurzzeitgedächtnisses festgestellt worden. Zudem ergebe sich aus einem Gutachten des Neurologen Prof. G. vom 8. März 2005, dass sie nicht mehr in der Lage sei, einen Haushalt selbstständig zu führen und im Kontakt mit Menschen in ungewohnter Umgebung, zB beim Einkaufen und bei Behördengängen, durch Angst- und Panikstörungen in starker Weise behindert sei. Daher sei sie seit Jahren auf eine Person angewiesen, die ihr den Haushalt führe und sie bei Einkäufen oder sonstigen Erledigungen begleite. Diese Hilfen übernehme Herr E., ohne dessen Unterstützungen Leistungen der Eingliederungshilfe, Haushaltshilfe oder Hilfe zur Pflege erforderlich wären. Bei ihm handele es sich um einen 17 Jahre jüngeren, guten Freund ihres Sohnes. Das Verhältnis zwischen ihr und Herrn E. sei durch ihre Hilfebedürftigkeit geprägt; eine persönliche Beziehung im Sinne einer gegenseitigen Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft bestehe nicht. Sie nutzen die untere Etage des Hauses mit Küche und Bad gemeinsam, hätten aber getrennte Schlafzimmer. Sie verfügten weder über gemeinsame Konten noch seien gemeinsame Versicherungen abgeschlossen worden.
Der Antragsgegner tritt dem Antrag entgegen und beantragt dessen Ablehnung. Nach seiner Auffassung ist aufgrund zahlreicher Indizien von einer bestehenden Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft auszugehen. So habe die Antragstellerin Herrn E. mehrfach als Lebenspartner bezeichnet, sei mehrfach gemeinsam mit ihm umgezogen und habe die anspruchsmindernde Berücksichtigung von seinem Einkommen bislang widerspruchslos hingenommen. Die aktuelle Situation der Antragstellerin sei davon geprägt, dass Teile des Lohns von Herrn E. gepfändet seien. Es seien aber weder Grund und Dauer der Pfändung noch die Höhe der Forderung bekannt noch sei ersichtlich, ob Herr E. seinen Arbeitgeber zur Einhaltung der Pfändungsfreigrenzen aufgefordert und sich gegen die Pfändungsmaßnahmen gewehrt habe. Daher könnten Änderungen bei der Leistungsbewilligung gegenüber der Antragstellerin zurzeit nicht vorgenommen werden.
Hinsichtli...