Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeldanspruch. ärztliches Beschäftigungsverbot nach MuSchG. keine Arbeitsunfähigkeit. Fiktion der Verfügbarkeit. Gesetzeslücke. verfassungskonforme Auslegung
Leitsatz (amtlich)
1. Zur Abgrenzung zwischen Arbeitsunfähigkeit und Beschäftigungsverbot ist festzustellen, ob ein krankhafter Zustand der Schwangeren vorliegt oder ob bei theoretisch gegebener Arbeitsfähigkeit der Schwangeren eine Gefährdung der werdenden Mutter oder des Kindes gegeben ist, die ein Beschäftigungsverbot begründet. Eine Risikoschwangerschaft führt bei dieser Abgrenzung nicht zwingend zur Arbeitsunfähigkeit.
2. Das absolute Beschäftigungsverbot nach § 3 Abs 1 MuSchG steht einer Verfügbarkeit nach § 119 Abs 5 SGB 3 nicht entgegen. Die Verfügbarkeit ist durch verfassungskonforme Auslegung zu fingieren (Anschluss an LSG Darmstadt vom 20.8.2007 - L 9 AL 35/04 = Streit 2008, 182).
Tenor
Die Bescheide der Beklagten vom 3. Juli und 6. Juli 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Juli 2006 werden aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Arbeitslosengeld für den Zeitraum 3. Juli 2006 bis 19. August 2006 zu gewähren.
Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg).
Die 1967 geborene Klägerin war bis Anfang 2004 beschäftigt als Krankenpflegehelferin. Nach der Geburt ihres vierten Kindes befand sie sich in der Folge in Elternzeit. Zum 22. Februar 2006 meldete sie sich bei der Beklagten arbeitslos, beantragte Leistungen und stellte sich dem Arbeitsmarkt für 20 Stunden wöchentlich zur Verfügung. Die Beklagte bewilligte der Klägerin ab 22. Februar 2006 Alg iHv 13,35 EUR täglich. Die behandelnde Frauenärztin und Zeugin G. bescheinigte der inzwischen erneut schwangeren Klägerin am 22. Mai 2006 für den Zeitraum bis zum 6. Juni 2006 eine Arbeitsunfähigkeit. Mit ärztlichem Zeugnis vom 9. Juni 2006 stellte die Zeugin G. der Klägerin ein absolutes Beschäftigungsverbot ab 7. Juni bis 5. Juli 2006 aus. Zur Begründung führte die Zeugin an, dass eine vorzeitige Wehentätigkeit, eine Frühgeburtsneigung sowie ein Gestoserisiko vorlägen. Mit Bescheinigung vom 5. Juli 2006 verlängerte die Zeugin das absolute Beschäftigungsverbot über den 5. Juli 2006 hinaus bis zum Mutterschutz (ab 20. August 2006). Die Begründung des weitergehenden Beschäftigungsverbotes entsprach der Begründung des zuvor ausgestellten. Der Mutterschutz begann am 20. August 2006, die Geburt des fünften Kindes der Klägerin erfolgte am 12. Oktober 2006.
Mit Bescheid vom 3. Juli 2006 hob die Beklagte die Bewilligung von Alg ab diesem Tag auf mit der Begründung, die Voraussetzungen für eine Leistungsgewährung im Krankheitsfall seien nicht mehr erfüllt. Mit Änderungsbescheid vom 6. Juli 2006 korrigierte die Beklagte die Aufhebung der Bewilligung von Alg ab 3. Juli 2006 in der Begründung dahingehend, dass aufgrund des absoluten Beschäftigungsverbotes nunmehr keine Verfügbarkeit der Klägerin mehr gegeben sei, so dass ein Anspruch auf Weitergewährung von Alg nicht bestehe. Den gegen diese Entscheidung eingelegten Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 13. Juli 2006 zurück.
Die Klägerin hat am 14. August 2006 Klage erhoben. Zur Begründung beruft sie sich auf die Entscheidung des Hessischen Landessozialgerichts (LSG) vom 20. August 2007 (L 9 AL 35/04) und vertritt die Auffassung, dass trotz des ausgestellten Beschäftigungsverbotes Alg weiter zu zahlen sei.
Mit Beschluss vom 17. September 2009 hat das Gericht die Techniker Krankenkasse als in Betracht kommenden zuständigen Leistungsträger zum Verfahren beigeladen.
Die Klägerin beantragt,
1. den Bescheid der Beklagten vom 3. Juli 2006 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 6. Juli 2006 und den Widerspruchsbescheid vom 13. Juli 2006 aufzuheben,
2. die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Arbeitslosengeld für den Zeitraum 3. Juli bis 19. August 2006 zu gewähren,
3. hilfsweise die Beigeladene zu verurteilen der Klägerin Krankengeld für den Zeitraum 3. Juli bis 19. August 2006 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie nimmt Bezug auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid und weist darauf hin, dass nach ihren Dienstanweisungen bei einem absoluten Beschäftigungsverbot mangels Verfügbarkeit grundsätzlich keine Gewährung von Alg in Betracht komme.
Die Beigeladene beantragt,
den hilfsweise von der Klägerin gestellten Antrag - sofern über diesen Antrag entschieden wird - abzuweisen.
Die Beigeladene vertritt die Auffassung, dass vorliegend zutreffend ein Beschäftigungsverbot festgestellt worden sei. Sie schließt sich in der Sache den Ausführungen des Hessischen Landessozialgerichts an und hält einen Anspruch gegen die Beklagte für gegeben.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten sowie hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Gerichtsakte, die...