Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Vermögenseinsatz. Härte. Ansparung anrechnungsfreier Leistungen. Pflegegeld nach § 37 SGB 11

 

Orientierungssatz

1. Eine Härte iS des § 90 Abs 3 SGB 12 ist anzunehmen, wenn aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalles eine typische Vermögenslage deshalb zu einer besonderen Situation wird, weil die soziale Stellung der nachfragenden Person insbesondere wegen einer Behinderung, Krankheit oder Pflegebedürftigkeit nachhaltig beeinträchtigt ist.

2. Bei der Ansparung anrechnungsfreier Leistungen ist das Vorliegen einer Härte nicht per se zu bejahen. Vielmehr setzt es voraus, dass die Leistung für einen Zweck ausgezahlt wurde, der auch weiterhin andauert bzw erfüllbar ist, oder zum Ausgleich besonderer Bedarfe oder Nachteile erbracht wurde und diese Ausgleichsfunktion bei Verbrauch des Vermögens für den allgemeinen Lebensunterhalt gefährdet würde.

3. Der Zweck des Pflegegeldes nach § 37 SGB 11, nämlich die Sicherstellung des Pflegebedarfs im jeweiligen Monat, reicht nach Ablauf des Monats und nach tatsächlicher Deckung des Pflegebedarfs nicht weiter fort. Angespartes Pflegegeld kann infolgedessen seinen Zweck nicht mehr erfüllen, wenn der Pflegebedarf in der Vergangenheit gedeckt war und der aktuelle Bedarf durch die fortlaufende Auszahlung des Pflegegeldes gedeckt werden kann.

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Klägerin wehrt sich gegen die Anrechnung angesammelten Pflegegeldes nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) als Vermögen im Rahmen ihrer Leistungsangelegenheit nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) und macht eine Härte im Sinne des § 90 Abs 3 SGB XII geltend.

Die Klägerin, geboren im Mai 1924, lebt in Verden in einer Mietwohnung. Sie bezieht Witwenrenten der Deutschen Rentenversicherung und der Landwirtschaftlichen Alterskasse in Höhe von zusammen 451,98 EUR und Unterhalt iHv 52,00 EUR. Daneben bezieht sie seit Mai 2006 von der Landwirtschaftlichen Pflegekasse Niedersachsen-Bremen Pflegegeld der Stufe 1 iHv 235,00 EUR monatlich (§ 37 SGB XI). Der vorhandene Pflegebedarf wird allerdings durch den kostenlosen Einsatz der Tochter der Klägerin gedeckt, so dass das Pflegegeld bislang nicht zur Deckung des Pflegebedarfs verwendet werden musste. Die Klägerin erhält seit etlichen Jahren aufstockende Sozialhilfeleistungen, zunächst nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG), dann nach dem Grundsicherungsgesetz (GrSiG) und seit 2005 Grundsicherung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII. Für Januar 2014 betrug der Grundsicherungsbedarf unter Berücksichtigung des Regelbedarfs der Stufe 1, eines Mehrbedarfs zur Warmwasseraufbereitung gemäß §§ 42, 30 Abs 7 SGB XII und 120,00 EUR für eine Haushaltshilfe sowie der Kosten für Unterkunft und Heizung insgesamt 762,99 EUR. Abzüglich des Einkommens aus den Witwenrenten und Unterhalt verblieb im Januar und Februar 2014 ein ungedeckter Bedarf iHv 259,01 EUR (Bescheid vom 18.12.2013).

Im Rahmen der Folgeantragstellung am 28. Januar 2014 für den Leistungszeitraum ab März 2014 reichte die Klägerin aktuelle Kontoauszüge ihres Girokontos bei der Kreissparkasse Verden zu den Akten, aus denen hervorging, dass auf dem Konto Anfang Januar 2014 ein Guthaben iHv 7.055,66 EUR vorhanden war. Auf einem Sparkonto befanden sich zur gleichen Zeit 173,01 EUR. Der Beklagte lehnte die Weitergewährung der Grundsicherungsleistungen daraufhin mit dem klagegegenständlichen Bescheid vom 30. Januar 2014 wegen fehlender Hilfebedürftigkeit ab. Unter Berücksichtigung des Freibetrags von 2.600,00 EUR und des Bedarfs für Januar 2014 verfüge die Klägerin über einzusetzendes Vermögen iHv 3.865,00 EUR. Dies reiche aus, den Bedarf für die nächsten 15 Monate zu decken. Den dagegen am 12. Februar 2014 eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11. April 2014 als unbegründet zurück. Am 28. Mai 2014 hat die Klägerin Klage erhoben.

Sie trägt vor, das Guthaben stamme aus nichtverbrauchtem Pflegegeld. Angesparte Vermögen aus Pflegegeld sei entsprechend der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu Blindengeld nicht anzurechnen. Es habe eine Vereinbarung mit der pflegenden Tochter bestanden, dass das nicht verbrauchte Pflegegeld für die Bestattung angespart werden solle. Sie werde nun im Gegensatz zu einer Leistungsempfängerin, die sämtliche, ihr zur Verfügung stehenden Leistungen komplett verbraucht, für ihre Sparsamkeit praktisch bestraft. Außerdem sei bereits auf im Jahr 2009 eingereichten Kontoauszügen ein Guthaben von damals 4.114,88 EUR zu erkennen gewesen, ohne dass der Beklagte dies berücksichtigt habe und auch ohne Hinweis auf die Überschreitung des Vermögensschonbetrags.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 30. Januar 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. April 2014 zu verurteilen, ihr Leistungen nach dem SGB XII ohne Berücksichtigung von Vermögen zu bewilligen.

Der Beklag...

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