Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Übernahme von Kosten für die Wahrnehmung des Umgangsrechts mit dem getrennt lebenden Kind. verfassungskonforme Auslegung des § 20 Abs 1 SGB 2
Orientierungssatz
1. § 73 SGB 12 erfasst nur solche Hilfesituationen, die ihrer Art nach nicht zur Hilfe zum Lebensunterhalt gehören (vgl LSG Celle-Bremen vom 28.4.2005 - L 8 AS 57/05 ER = Breith 2005, 960) und kann somit keine Anspruchsgrundlage für die Übernahme von Kosten zur Ausübung des Umgangsrechts mit minderjährigen getrennt lebenden Kindern für Leistungsbezieher nach dem SGB 2 sein.
2. Die Ausübung des Umgangsrechts fällt wegen des höchstpersönlichen Charakters dieser Befugnis und wegen der engen persönlichen und familiären Bindung zwischen Eltern und Kindern nicht in den in § 20 Abs 1 S 1 SGB 2 genannten Bereich "Beziehungen zur Umwelt".
3. Die durch § 20 SGB 2 gewährten Regelleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts dienen grundsätzlich nur zur Deckung des ohne die Besonderheit des Einzelfalles bei vielen Hilfeempfängern gleichermaßen bestehenden Bedarfs (vgl LSG Thüringen vom 15.6.2005 - L 7 AS 261/05 ER = info also 2005, 222). Daran fehlt es bei dem sich aus der Ausübung des Umgangsrechts entstehenden Bedarf.
4. Die in § 23 Abs 1 SGB 2 vorgesehene darlehensweise Gewährung von Leistungen stellt kein Äquivalent zur Regelsatzerhöhung entsprechend § 28 Abs 1 S 2 SGB 12 dar. Die im SGB 2 bestehende Regelungslücke kann daher nicht durch eine entsprechende Anwendung des § 23 Abs 1 SGB 2 auf solche Leistungen, die nicht unmittelbar von § 20 Abs 1 SGB 2 erfasst sind, verfassungskonform geschlossen werden.
5. Zur Schließung der Regelungslücke ist vielmehr eine Anwendung des Rechtsgedankens des § 28 Abs 1 S 2 SGB 12 im Rahmen des § 20 SGB 2 vorzunehmen.
6. Unabweisbar ist ein Bedarf, wenn er in zeitlicher Hinsicht nicht aufgeschoben werden und inhaltlich nicht auf anderweitige Weise gedeckt werden kann (vgl LSG Thüringen vom 15.6.2005 - L 7 AS 261/05 ER = info also 2005, 222).
Tenor
1. Der Antragsgegner wird im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller die Kosten für die Wahrnehmung seines Umgangsrechts mit seinen Töchtern ... und ... entsprechend der durch Beschluss durch das Amtsgerichts Freiburg - Familiengericht - vom 28.06.2005, Aktenzeichen ... getroffenen Umgangsregelung in Höhe von jeweils EUR 120,00 für die Monate Oktober und November 2005 vorläufig und darlehensweise zur Verfügung zu stellen.
Im übrigen wird der Antrag abgelehnt.
2. Der Antragsgegner hat dem Antragsteller 2/3 seiner außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung die Übernahme der Kosten für die Wahrnehmung seines Umgangsrechts mit seinen Töchtern X. und Y. für die Monate September bis November 2005 durch den Antragsgegner.
Der 1954 geborene Antragsteller ist seit 2000 in zweiter Ehe mit seiner Frau Z. verheiratet und lebt mit dieser sowie dem gemeinsamen Sohn in S. Der Antragsteller übt eine abhängige Beschäftigung aus, aus der er Einkommen in unterschiedlicher Höhe bezieht. Zusätzlich bezieht er zusammen mit seiner Ehefrau und seinem Sohn als Bedarfsgemeinschaft Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SBG II), welche zuletzt mit Änderungsbescheid vom 24.08.2005 mit einen Gesamtanspruch der Bedarfsgemeinschaft in Höhe von Euro 673,33 für September 2005 bewilligt wurden.
Die Töchter des Antragstellers aus erster Ehe, X., geboren 1988 und Y., geboren 1995 leben bei der geschiedenen ersten Ehefrau des Antragstellers, welcher durch Beschluss des Familiengerichts vom 21.11.1997 das alleinige Sorgerecht für die Töchter übertragen wurde, in F.
Durch Beschluss des Amtsgerichts Freiburg im Breisgau - Familiengericht - vom 28.06.2005 erging im Wesentlichen folgende Umgangsregelung: Der Antragsteller ist berechtigt und verpflichtet mit seinen Töchtern den Umgang auszuüben
- jeweils vom ersten Freitag eines Monats von 19.00 Uhr bis zum darauffolgenden Sonntag 18.00 Uhr
- in den ersten zwei Wochen der Sommerferien bis zu dem auf diesen Zeitraum folgenden Samstag,
- jeweils am ersten Weihnachtsfeiertag.
Hierbei hat der Antragsteller die Kinder jeweils an einem Treffpunkt in der F. Innenstadt abzuholen und sie auch dorthin wieder zurückzubringen, wo sie von der geschiedenen ersten Ehefrau des Antragstellers wieder in Empfang genommen werden.
Mit Schreiben vom 28.07.2005 beantragte der Antragsteller die Übernahme der Kosten für die Wahrnehmung seines Umgangsrechts mit seinen Töchtern durch den Antragsgegner. Dies lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 01.08.2005 ab, da die Fahrtkosten zum Besuch der Kinder in F. bereits mit dem Regelsatz abgegolten seien und nicht zusätzlich gewährt werden können.
Den hiergegen mit der Begründung, die Kosten für die Ausübung des Umgangsrechtes seien nicht im Regelbedarf abgegolten und damit zusätzlich zu erstatten, erhobene Widerspruch des Antragstellers wies der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 30.08.2005 als unbegründet ...