Entscheidungsstichwort (Thema)

Nachversicherung. rückwirkende Erhebung von Säumniszuschlägen vom Nachversicherungsschuldner bei Organisationsverschulden

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei Körperschaften des öffentlichen Rechts schließt das Außerachtlassen ausreichender organisatorischer Vorkehrungen (sog Organisationsverschulden) eine unverschuldete Unkenntnis im Sinne des § 24 Abs 2 SGB 4 aus.

2. Zu den Anforderungen an eine wirksame Informations- und Ablauforganisation (hier: ein Ministererlass alleine genügt nicht).

3. Ein unzureichendes Nachversicherungsmanagement bei bloßem Vertrauen auf die fehlerfreie Umsetzung einer Erlasslage rechtfertigt den Schluss, dass dem behördeninternen Nachversicherungsverfahren nicht die erforderliche Bedeutung beigemessen und damit eine Verzögerung der Durchführung der Nachversicherung bewusst in Kauf genommen wurde.

 

Orientierungssatz

1. Bei Körperschaften des öffentlichen Rechts schließt das Außerachtlassen ausreichender organisatorischer Vorkehrungen (sog Organisationsverschulden) eine unverschuldete Unkenntnis im Sinne des § 24 Abs 2 SGB 4 aus.

2. Im Hinblick auf die Ausgestaltung der erforderlichen organisatorischen Maßnahme ist zu verlangen, dass die Behörde dafür Sorge trägt, dass Informationen, die typischerweise aktenmäßig festgehalten werden, auch verfügbar sind. Diese Verantwortung umschließt gerade auch die Pflicht, die Präsenz der Informationen zu organisieren. Es muss daher sichergestellt werden, dass Informationen, deren Relevanz für andere Personen innerhalb einer Organisation bei den konkret Wissenden erkennbar ist, tatsächlich an die zuständigen und zur Entscheidung berufenen Personen weitergegeben werden. Insofern muss gewährleistet sein, dass nach erkennbar anderswo innerhalb der Organisation vorhandenen und für den eigenen Bereich wesentlichen Informationen nachgefragt wird und nachgefragt werden kann. Der Verwaltungsträger muss die interne Kommunikation und die Binneninformationsverteilung ordnungsgemäß organisieren, entsprechende Strukturen vorhalten (vgl BGH vom 15.12.2005 - IX ZR 227/04 = NJW-RR 2006, S 771 und vom 2.2.1996 - V ZR 239/94 = BGHZ 132, S 30) und insgesamt ausreichende Maßnahmen treffen (vgl BSG vom 17.4.2008 - B 13 R 123/07 R = BSGE 100, 215, SozR 4-2400 § 25 Nr 2). Fehlen derartige notwendige organisatorische Maßnahmen, genügt bereits einfache Fahrlässigkeit (§ 276 BGB analog), um der Organisation das (aktenmäßige) Wissen einzelner, auch nicht unmittelbar mit dem streitigen Vorgang befasster Mitarbeiter zurechnen zu können. Dabei ist eine konkret-individuelle Betrachtung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmen (vgl BSG vom 1.7.2010 - B 13 R 67/09 R).

3. Ein unzureichendes Nachversicherungsmanagement bei bloßem Vertrauen auf die fehlerfreie Umsetzung einer Erlasslage rechtfertigt den Schluss, dass dem behördeninternen Nachversicherungsverfahren nicht die erforderliche Bedeutung beigemessen und damit eine Verzögerung der Durchführung der Nachversicherung bewusst in Kauf genommen wurde.

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens, wobei Gerichtskosten nicht erhoben werden.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die klagende Bundesrepublik Deutschland Säumniszuschläge in Höhe von 16.632 Euro wegen verspäteter Zahlung von Nachversicherungsbeiträgen für den Versicherten K. (zukünftig nur noch Versicherter) zu entrichten hat.

Der am ...1964 geborene Versicherte leistete in der Zeit vom ...1984 bis ...1985 seinen Grundwehrdienst in den Streitkräften der Klägerin und stand sodann vom 01.04.1985 bis zum 31.03.1988 als Soldat auf Zeit in deren Diensten. Er schied am 31.03.1988 als Stabsunteroffizier gemäß § 54 Abs. 1 Soldatengesetz (SG) aus dem Wehrdienstverhältnis bei der Bundeswehr aus. Unter dem 24.08.2007 stellte er bei der Beklagten einen Antrag auf Kontenklärung. Im Zuge dessen stellte sich heraus, dass er für die Zeit vom 01.04.1985 bis 31.03.1988 nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nachversichert worden war. Mit Schreiben vom 10.09.2007 wies die Beklagte die Wehrbereichsverwaltung (WBV) S. darauf hin, dass der Versicherte für die Zeit als Zeitsoldat nachzuversichern sei. Dem kam die WBV S. nach und entrichtete an die Beklagte mit Wertstellung vom 15.10.2007 insgesamt 13.082,10 Euro als Nachversicherungsbeiträge für die Zeit vom 01.04.1985 bis 31.03.1988. Wegen der diesbezüglichen weiteren Einzelheiten wird auf die Nachversicherungsbescheinigung vom 08.10.2007 (Blatt 11 der Beklagten-Verwaltungsakte) verwiesen.

Mit Anhörungsschreiben vom 22.08.2008 teilte die Beklagte der WBV S. mit, dass sie wegen verspäteter Zahlung der Nachversicherungsbeiträge beabsichtige, Säumniszuschläge in Höhe von 16.632 Euro mittels Verwaltungsakt zu erheben. Gemäß § 24 Abs. 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) sei für Nachversicherungsbeiträge, die nicht spätestens bis zum Ablauf von drei Monaten nach ihrer Fälligkeit gezahlt werden, für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von eins vom Hundert des rü...

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