Entscheidungsstichwort (Thema)

Soziales Entschädigungsrecht. Gewaltopferentschädigung. tätlicher Angriff. ärztlicher Heileingriff. strafbare vorsätzliche Körperverletzung. Heilungswillen. Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG. Glaubhaftmachung. widerspruchsfreier Vortrag aus eigenem Wissen. sozialgerichtliches Verfahren. richterliche Beweiswürdigung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Auch ein ärztlicher Eingriff kann einen tätlichen Angriff im Sinne von § 1 Abs 1 S 1 OEG darstellen. Voraussetzung für eine entsprechende Bewertung ist allerdings, dass der Eingriff als vorsätzliche Körperverletzung im Sinne des § 223 Abs 1 StGB strafbar ist und - objektiv - also aus Sicht eines verständigen Dritten in keiner Weise dem Wohl des Patienten dient. Dies ist insbesondere der Fall, wenn sich der Arzt bei seiner Vorgehensweise im Wesentlichen von eigenen finanziellen Interessen leiten lässt und die gesundheitlichen Belange des Patienten hintanstellt (vgl BSG vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R = BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17).

2. Die Anwendung der Beweiserleichterung nach § 6 Abs 3 OEG iVm § 15 Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) setzt voraus, dass der Antragsteller Angaben zu den entscheidungserheblichen Fragen aus eigenem Wissen machen kann und widerspruchsfrei vorträgt (vgl LSG Stuttgart vom 21.4.2015 - L 6 VG 2096/13).

3. Glaubhaftmachung iS des § 15 KOVVfG bedeutet das Dartun überwiegender Wahrscheinlichkeit, dh, der guten Möglichkeit, dass der Vorgang sich so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (vgl BSG vom 8.8.2001 - B 9 V 23/01 B = SozR 3-3900 § 15 Nr 4).

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt von dem Beklagten die Anerkennung, Opfer schädigender Ereignisse in Form von Falschbehandlungen im X.hospital im März bis April 1999 und Juni 2005 bis Februar 2006 geworden zu sein und infolge dieser unter Schlafstörungen, Bandscheibenvorfällen und einer posttraumatischen Belastungsstörung zu leiden.

Die 1972 geborene Klägerin hatte bei dem Beklagten zum ersten Mal am 17.06.1997 einen Antrag auf Gewährung von Beschädigtenversorgung gestellt mit der Begründung, sie sei im Januar 1995 in der Wohnung ihrer Eltern von circa 10 Männern überfallen und sexuell genötigt worden. Der Beklagte hatte diesen Antrag sowie weitere Überprüfungsanträge in derselben Sache abgelehnt.

Am 27.05.2014 beantragte die Klägerin erneut bei dem Beklagten die Gewährung von Beschädigtenversorgung nunmehr mit der Begründung, sie sei durch die Behandlung im X.hospital 1999 bzw. 2004 bis 2005 schwer traumatisiert worden. Deshalb leide sie unter Bandscheibenschäden, Schlafstörungen und Vergiftung durch Medikamente. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, sie habe ihr Leiden aufgrund der Vergewaltigung durch Suizid im März 1999 beenden wollen. Dieser sei misslungen und man habe sie ins X.hospital eingeliefert, wo alles schiefgelaufen sei. Sie habe dem Arzt gegenüber ihr Leiden beschrieben, was diesen ziemlich erbost habe. Daraufhin habe man die Diagnose (Schizophrenie) gestellt. Sie habe sich in den Tagen darauf bemüht, die Ärzte zu besänftigen, doch das sei ihr nicht gelungen, diese seien erbost geblieben. Man habe sie nicht therapiert, vielmehr habe sie sich um die Wehwehchen der Ärzte kümmern müssen. Man habe sie wegen des Suizids auch zwangseingewiesen. Zu der Zwangseinweisung sei es wegen der Wehwehchen der Ärzte gekommen. Sie wäre auch selbst freiwillig in der Psychiatrie geblieben, da sie eingesehen habe, dass sie endgültig am Ende sei. Dass die Ärzte so erbost über sie gewesen seien, habe sie für eine schlechte Grundlage für eine vertrauensvolle und hilfreiche Therapie gehalten und habe deshalb in ein anderes Krankenhaus verlegt werden wollen. Die Ärzte hätten dies jedoch nicht getan, und hätten sich stattdessen die richterliche Zwangseinweisung besorgt. Die Vorkommnisse in der geschlossenen Station des X.hospitals hätten sie schwer geschädigt und sie habe dort eine weitere Traumatisierung erfahren. Zum einen durch die Boshaftigkeit des Personals und zum anderen durch Beobachtung der Leiden der anderen Patienten. Man habe sie ständig Drohungen ausgesetzt und man habe auch den Mund kontrolliert, ob man die verordneten Tabletten tatsächlich geschluckt habe. Man habe ihr auch gedroht, gewaltsam mit der Spritze eine bewusst erhöhte Dosis hochpotenter Medikamente zu verabreichen und sie mit Gurten ans Bett zu fesseln. Dies sei ein täglicher Spaß des Personals gewesen, während die Patienten still geweint hätten. Man habe ihr die Fähigkeit abgesprochen, ihre Gefühle richtig wahrzunehmen und diese zu beschreiben. Die Ärzte hätten alles besser gewusst. Nach der Zwangseinweisung und dem einmonatigen Aufenthalt sei sie völlig kaputt gewesen und in einem schlechteren gesundheitlichen Zustand, als vor der Einweisung. Sie habe sich niemandem mitteilen können und sei unfähig gewesen, über ihre Gefühle oder das Leben nachzudenke...

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