Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Wirtschaftlichkeitsgebot. Arzneimittel. therapeutischer Nutzen. Leistungspflicht. Gemeinsamer Bundesausschuss. Ausschluss. Verordnungsfähigkeit. Benennung des Arzneimittels bzw des Wirkstoffes. kein genereller Ausschluss durch Arzneimittelrichtlinie
Leitsatz (amtlich)
1. Aus dem Wirtschaftlichkeitsgebot folgt nicht, dass alle Arzneimittel, deren therapeutischer Nutzen nicht nachgewiesen ist, kraft Gesetzes von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen sind.
2. Für einen Ausschluss von der Verordnungsfähigkeit durch den Gemeinsamen Bundesausschuss nach § 92 Abs 1 SGB 5 ist die Benennung des Arzneimittels bzw. des Wirkstoffes erforderlich. Durch die Arzneimittelrichtlinie können nicht generell alle Arzneimittel, deren therapeutischer Nutzen nicht nachgewiesen ist, von der Verordnungsfähigkeit ausgeschlossen werden, ohne dass diese im Einzelnen benannt werden.
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens, einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.
3. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Rechtmäßigkeit eines Arzneimittelregresses für das im zweiten Quartal 2005 verordnete Medikament AHP 200 streitig.
Der Beigeladene ist als Facharzt für Chirurgie und Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie in R. zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Im zweiten Quartal 2005 verordnete der Beigeladene mehreren Patienten das Arzneimittel AHP 200 (Wirkstoff: Oxaceprol).
AHP 200 befand sich im streitgegenständlichen Zeitraum in der Phase der Nachzulassung. Die behördliche Prüfung auf pharmazeutische Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit war noch nicht abgeschlossen. Nach einer Auskunft des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) vom 24.02.2010 ist das Nachzulassungsverfahren bislang nicht abgeschlossen. AHP 200 gilt als fiktiv zugelassen im Sinne des § 105 Abs. 1 Arzneimittelgesetz (AMG) 1976.
Auf Antrag der klagenden Krankenkasse vom 22.03.2006 leitete der Prüfungsausschuss Baden-Württemberg, Kammer Freiburg, ein Prüfverfahren bezogen auf das im zweiten Quartal 2005 verordnete Arzneimittel AHP 200 ein. Mit Prüfbescheid vom 24.05.2007 gab der Prüfungsausschuss dem Antrag der Krankenkasse statt und setzte einen Regress in Höhe von 227,24 € fest. Zur Begründung wurde angegeben, dieses Medikament sei nach Abschnitt D Punkt 13 der Arzneimittelrichtlinie nicht zu Lasten der Krankenkasse zu verordnen, da der therapeutische Nutzen - wie sich aus den angegebenen Diagnosen ergebe - nicht ersichtlich sei.
Hiergegen legte der Beigeladene am 21.06.2007 Widerspruch ein. Das Antirheumatikum AHP 200 sei von keiner rechtsverbindlichen Regelung (Negativliste oder Arzneimittelrichtlinien) von der Verordnungsfähigkeit ausgeschlossen. AHP 200 sei rezeptpflichtig und zur Behandlung von degenerativen und entzündlichen Gelenkerkrankungen zugelassen. AHP 200 sei ein Arzneimittel mit ausreichend gesichertem therapeutischen Nutzen. Insoweit werde auf entsprechende Stellungnahmen verwiesen. AHP 200 sei auch kein Chondroprotektivum im Sinne der Arzneimittelrichtlinie, dies werde zwischenzeitlich auch von der Klägerin bestätigt. Das Medikament sei in den Behandlungsfällen indikationsgerecht eingesetzt worden. Bei jedem der einzelnen Patienten sei auch ein deutlicher Erfolg durch Besserung der Schmerzen und der Gelenkfunktion erreicht worden, der ansonsten nicht hätte erreicht werden können.
Mit Widerspruchsbescheid vom 29.04.2009 gab der beklagte Beschwerdeausschuss dem Widerspruch des Beigeladenen statt. Zur Begründung wird angegeben, AHP 200 sei kein Arzneimittel zum Schutz der Gelenkfunktion bei Abbauerscheinung des Knorpels zur lokalen und systemischen Anwendung (sog. Chondroprotektiva). Das Arzneimittel sei zur Anwendung bei degenerativen Gelenkerkrankungen in schmerzhaften oder entzündlichen Stadien zugelassen. Entsprechend dieser Zulassung habe der Beigeladene das Medikament eingesetzt. Für die Verordnungen sei die entzündungshemmende und schmerzstillende Wirkung maßgebend gewesen, nicht der Schutz der Gelenkfunktion.
Am 27.05.2009 erhob die Krankenkasse zum Sozialgericht Stuttgart Klage. Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, der Nachweis der Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit sei bei AHP 200 nicht erbracht. Es sei eine rechtliche Situation gegeben, die derjenigen von Wobe Mugos E entspräche. Das Bundessozialgericht habe Regresse in Bezug auf Wobe Mugos E bestätigt. Allein die Verkehrsfähigkeit begründe danach keinen Anspruch auf Versorgung mit einem Arzneimittel. Da AHP 200 nur fiktiv zugelassen sei, stütze sich die Verkehrsfähigkeit zudem lediglich auf eine verfahrensrechtliche Position. Die Fachinformation (Stand: Juli 2003) enthalte auch einen entsprechenden Hinweis. Auch das Arzneimitteltelegramm von 1996 habe schon fehlende Belege für die Wirksamkeit erwähnt. Diese Hinweise hätte der Beigeladene finden können. Im Übrigen komme es auf e...