Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Zugunstenverfahren nach § 44 SGB 10. Prozessvergleich. Überprüfung eines dem Vergleich zu Grunde liegenden Bescheids. Überprüfung des Vergleichs. Auslegung. Verzicht auf Wirkung der Restschuldbefreiung

 

Leitsatz (amtlich)

Ist ein Bescheid Gegenstand eines gerichtlichen Vergleichs, so kann er, wenn er in dem gerichtlichen Vergleich aufrechterhalten wird, grundsätzlich in dem Verfahren nach § 44 SGB 10 überprüft werden.

Eine Überprüfung nach § 44 SGB 10 scheidet aber aus, wenn durch den gerichtlichen Vergleich der Sachverhalt abschließend geregelt werden sollte. In diesen Fällen ist den Grundsätzen der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens vor dem Hintergrund des Konsenses der Beteiligten der Vorrang vor dem Grundsatz der materiellen Gerechtigkeit zuzubilligen.

Ein gerichtlicher Vergleich unterliegt nicht der Überprüfung nach Maßgabe des § 44 SGB 10.

 

Orientierungssatz

Die Wirkung der Restschuldbefreiung gestattet dem Schuldner jederzeit gegenüber dem Gläubiger die Erklärung, er sei bereit, die Forderung zu tilgen. Schließt ein anwaltlich vertretener Kläger in Kenntnis der gesamten Sachlage (hier: vorausgegangenes Insolvenzverfahren und Restschuldbefreiung des Klägers) einen Vergleich, in welchem er sich zum Ausgleich einer Überzahlung verpflichtet, so kann dies nach dem gesetzlichen Maßstab (§§ 133, 157 BGB) für die Auslegung der Willenserklärungen nicht anders als ein Verzicht des Schuldners auf die Anwendung der Regelung des § 301 InsO gegenüber dem Gläubiger ausgelegt werden.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 01.10.2019; Aktenzeichen B 13 R 360/17 B)

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt im Zugunstenverfahren die Aufhebung des Erstattungsbescheides vom 24.10.2007, mit dem die Beklagte von ihm den Betrag von insgesamt 67.767,15 € zurückgefordert hatte.

Dem am ….1943 geborenen Kläger wurde mit Bescheid vom 02.07.1996 seitens der Beklagten (damals LVA ….) ab dem 01.10.1992 Rente wegen Erwerbsminderung bewilligt.

In der Zeit vom 01.03.2001 bis 31.03.2004 übte der Kläger eine selbständige Tätigkeit aus, unterrichtete die Beklagte hierüber aber nicht. Nachdem diese hiervon Kenntnis erlangt hatte, hob sie mit Bescheid vom 31.08.2006 die mit Bescheid vom 02.07.1996 gewährte Rentenbewilligung ab dem 01.03.2001 auf. Die erhaltene Rente sei zu erstatten, worüber ein gesonderter Bescheid ergehe. Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 20.07.2007 zurückgewiesen und sodann mit gesondertem Bescheid vom 24.10.2007 gemäß § 50 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Verwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) die Erstattung zu Unrecht erbrachter Leistungen wegen Erwerbsunfähigkeit für den Zeitraum vom 01.03.2001 bis 30.09.2006 in Höhe von (iHv) insgesamt 67.767,15 € von dem Kläger gefordert.

Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. Das Widerspruchsverfahren wurde vor dem Hintergrund der zwischenzeitlich gegen den Bescheid vom 31.08.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.07.2007 erhobenen Klage zum Ruhen gebracht. Die Klage wurde von dem Sozialgericht (SG) Landshut durch Urteil vom 11.01.2001 abgewiesen (Az.: S 12 R 837/08 A). In diesem Verfahren verwies der damalige Bevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom 28.10.2010 darauf, es sei schon zweifelhaft, ob der Beklagten ein Anspruch auf Rückzahlung überzahlter Rente zustehe. Ein solcher werde aber in jedem Fall nach Restschuldbefreiung in dem Insolvenzverfahren nicht mehr durchsetzbar sein. Es stelle sich daher die Frage nach dem Sinn der Durchführung des Klageverfahrens. In dem vor dem Bayerischen Landessozialgericht (LSG; Az.: L 13 R 551/11) geführten Berufungsverfahren schlossen der Kläger und die Beklagte im Rahmen eines Erörterungstermins am 17.05.2013 folgenden Vergleich:

I. Die Beklagte erklärt sich bereit, dem Kläger ab dem 01.04.2004 Altersrente für schwerbehinderte Menschen ohne Abschläge entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen.

II. Die Beklagte behält die vollständige Nachzahlung zur teilweisen Abdeckung der aufgelaufenen Überzahlung ein.

III. Der Klägerbevollmächtigte reicht bis spätestens 31.07.2013 bei der Beklagten einen Nachweis des zuständigen Sozialhilfeträgers über die Bedürftigkeit des Klägers ein. Die Beklagte wird dann im August 2013 über eventuelle Einbehaltungen an der laufenden Rente des Klägers entscheiden. Wird keine Bescheinigung eingereicht, wird zum nächstmöglichen Zeitpunkt die Hälfte des Rentenzahlbetrags einbehalten.

IV. Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass damit der Rechtsstreit vollumfänglich erledigt ist.

Vor Abschluss des Vergleiches führten die Beteiligten mehrfach Schriftverkehr, in welchem u. a. die Beklagte mit Schreiben vom 5.4.2013 erörterte, aus ihrer Sicht sei sie nicht Insolvenzgläubiger, weil die Forderung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erst durch den Aufhebungsbescheid entstanden sei. D...

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