Entscheidungsstichwort (Thema)
Absenkung des Arbeitslosengeld II. Meldeversäumnis. keine Sanktionierung über § 66 iVm § 60 SGB 1. keine Umdeutung. Rechtsfolgenbelehrung. Beweislast
Leitsatz (amtlich)
1. § 66 SGB 1 ist keine taugliche Norm, um Meldepflichtverletzungen eines Arbeitslosengeld II-Empfängers zu sanktionieren. Hierfür ist die Vorschrift des § 31 SGB 2 die speziellere Vorschrift, die gem § 37 S 1 SGB 1 der allgemeineren Vorschrift des § 66 SGB 1 vorgeht.
2. Ein Verwaltungsakt, der eine Sanktionierung von Meldepflichtverletzungen eines Arbeitslosengeld II-Empfängers auf § 66 iVm § 60 SGB 1 stützt, kann nicht auf die Ermächtigungsgrundlage des § 31 SGB 2 umgedeutet werden, da es an der Wesensgleichheit der Verwaltungsakte mangelt.
3. Die Rechtsfolgenbelehrung bei einer Belehrung über die Folgen einer Meldepflichtverletzung nach § 31 SGB 2 bedarf der Schriftform.
4. Die materielle Darlegungs- und Beweislast zum Inhalt und zum Zeitpunkt der Rechtsfolgenbelehrung trifft den Leistungsträger.
Orientierungssatz
1. Die Rechtsfolgenbelehrung in § 31 Abs 2 SGB 2 hat eine Warn- und Erziehungsfunktion.
2. Der interne Hinweis im "Bearbeitungsblatt Sanktion" genügt nicht, um die Anforderungen an den Inhalt einer Rechtsfolgenbelehrung gem § 31 Abs 2 SGB 2 darzulegen oder gar zu beweisen.
3. Die Bestimmung des § 60 SGB 1 dient der Ermittlung der entscheidungserheblichen Informationen, die mit Hilfe des Hilfebedürftigen zu erlangen sind. Dies ist nicht der Fall bei der Einladung zur Erörterung der Arbeitsvermittlung (hier: Erörterung des Bewerberangebots bzw berufliche Situation des Hilfebedürftigen).
Tenor
1. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 23.07.2008 gegen den Bescheid vom 14.07.2008, der sich auf das Nichterscheinen am 26.06.2008 bezieht, wird angeordnet.
2. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 23.07.2008 gegen den Bescheid vom 15.07.2008 wird angeordnet.
3. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
4. Die Antragsgegnerin hat die außergerichtlichen Kosten des Antragsstellers zu 2/3 zu tragen.
Gründe
I.
Dem 29-jährigen Antragsteller, bei dem sämtliche Voraussetzungen für die Gewährung von Arbeitslosengeld II-Leistungen vorliegen, gewährt die Antragsgegnerin Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Diese Leistungen wurden dem Antragsgegner aufgrund von Meldepflichtverletzungen wie folgt gekürzt:
- mit Bescheid vom 04.12.2007 wegen des Nichterscheinens zum Termin am 05.10.2007 um 10 vom Hundert der Regelleistung für die Zeit vom 01.01.2008 bis 31.03.2008,
- mit Bescheid vom 04.12.2007 wegen des Nichterscheinens zum Termin am 18.10.2007 um 20 vom Hundert der Regelleistung für die Zeit vom 01.01.2008 bis 31.03.2008,
- mit Bescheid vom 14.07.2008 wegen des Nichterscheinens zum Termin am 26.06.2008 um 30 vom Hundert der Regelleistung für die Zeit vom 01.08.2008 bis 31.10.2008 sowie
- mit Bescheid vom 14.07.2008 wegen des Nichterscheinens zum Termin am 02.07.2008 um 30 vom Hundert der Regelleistung für die Zeit vom 01.08.2008 bis 31.10.2008.
Die Bescheide vom 04.12.2007 wurden bestandskräftig. Der Antragsteller wurde mit Schreiben vom 26.06.2008 aufgefordert, sich am 02.07.2008 um 8.45 Uhr bei der Geschäftsstelle der Antragsgegnerin in U. einzufinden. Das Schreiben enthielt eine Rechtsfolgenbelehrung. Hinsichtlich des Termins am 26.06.2008 findet sich in den Verwaltungsakten kein mit einer Rechtsfolgenbelehrung versehenes Einladungsschreiben der Antragsgegnerin.
Mit Bescheid vom 15.07.2008 wurden dem Antragsteller sämtliche von der Antragsgegnerin gewährten Leistungen mit Wirkung vom 01.08.2008 entzogen. Der Leistungsentzug wurde damit begründet, dass der Antragsteller zu den Terminen mit seiner Arbeitsvermittlerin am 26.06.2008, 02.07.2008 und 07.07.2008 nicht erschienen ist und er hierdurch seinen Mitwirkungspflichten gem. § 60 SGB I nicht nachgekommen sei. Die Entscheidung wurde auf §§ 60, 66 SGB I gestützt. Gegen die “Kürzungsbescheide„ vom 14.07.2008 und den “Entzugsbescheid„ vom 15.07.2008 hat der Antragsteller mit Schreiben vom 23.07.2008 Widerspruch erhoben.
Der Antragsteller trägt vor, auf die ungekürzte Leistung angewiesen zu sein, da er ansonsten seine Wohnung verlieren werde. Zudem sei er nicht mehr krankenversichert. Seine Lebensgefährtin sei außerdem schwanger, sodass ein Umzug bzw. der Verlust der Wohnung für sie eine unzumutbare Härte darstellen würde. Er ist der Auffassung, dass eine Entziehung der Leistungen nach dem SGB II nicht auf § 66 SGB I gestützt werden kann.
Mit seinem am 08.08.2008 zu Protokoll der Geschäftsstelle des Sozialgerichts U. abgegebenem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt er,
die Antragsgegnerin zu verpflichten ihm die Leistungen nach dem SGB II in ungekürzter Höhe zu gewähren.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie ist der Auffassung, dass nach zwei Meldeversäumnissen (vom 26.06.2008 und 02.07.2008), für die keine Gründe vorgetragen wurden, berechtigten Zweifel daran bestünden, ob die Voraussetzungen für die Gewährung d...