Entscheidungsstichwort (Thema)

Asylbewerberleistung. Sozialhilfe nach längerer Aufenthaltsdauer. rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Aufenthaltsdauer. einstweiliger Rechtsschutz. Anordnungsgrund

 

Orientierungssatz

1. Rechtsmissbräuchliche Beeinflussung iS des § 2 Abs 1 AsylbLG setzt ein vorwerfbares Tun oder Unterlassen in Bezug auf den derzeitigen Verbleib des Asylbewerbers in der Bundesrepublik Deutschland voraus. Es ist nicht entscheidend, dass irgendwann einmal in der Vergangenheit seit der Einreise eine rechtsmissbräuchliche Handlung vorlag, die die Aufenthaltsdauer beeinflusst hat.

2. Zur Zuerkennung von Leistungen nach § 2 Abs 1 AsylbLG im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes aufgrund nicht erfolgter Neufestsetzung der Leistungsbeträge gem § 3 Abs 3 AsylbLG seit 1993, wenn der Asylbewerber schon seit mehreren Jahren nur Leistungen nach § 3 AsylbLG erhält und auch bei Anlegung sozialhilferechtlicher Maßstäbe ein Nachholbedarf entstanden ist.

 

Tatbestand

Der 1977 geborene Antragsteller erhält vom Antragsgegner Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG). Er begehrt höhere Leistungen.

Er reiste im Jahre 2000 in die Bundesrepublik Deutschland ein und gab seinerzeit an, er sei sierra-leonischer Staatsangehöriger. Seit Oktober 2000 erhält er durchgehend Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Er lebt in eheähnlicher Gemeinschaft mit Frau X. in X.. Mit seiner Lebenspartnerin hat er das gemeinsame Kind X. (geboren 2003). Seine Lebenspartnerin und die Tochter erhalten Leistungen nach dem SGB II. Der Antragsteller besitzt eine Duldung nach den ausländerrechtlichen Vorschriften. Im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart (Az. 6 K 3294/04) hat das Regierungspräsidium Stuttgart, Bezirksstelle für Asyl, verbindlich erklärt, bis auf weiteres von Abschiebungsmaßnahmen abzusehen. Aufgrund von Artikel 6 Grundgesetz könne eine Abschiebung bis auf weiteres nicht durchgeführt werden. Hierauf hat der Antragsgegner mit Schreiben vom 27.09.2005 erklärt, die auflösende Bedingung in der Duldung des Klägers am 29.08.2005 gestrichen zu haben.

Zuletzt wurde dem Antragsteller mit Bescheid vom 21.12.2005 vom Antragsgegner für den Monat Januar 2006 ein Geldbetrag gemäß § 3 Abs. 1 AsylbLG in Höhe von monatlich € 40,90 nebst Zusatzleistungen gemäß § 3 Abs. 2 AsylbLG in Höhe von € 150,58 nebst Kosten der Unterkunft in Höhe von € 133,33, insgesamt € 324,81 bewilligt.

Mit Schriftsatz vom 12.01.2006, beim Sozialgericht am 13.01.2006 eingegangen, beantragte der Antragsteller einstweiligen Rechtsschutz. Ihm würden Leistungen nach dem SGB II oder jedenfalls nach dem SGB XII zustehen. Es widerspreche Artikel 6 Grundgesetz , den Familienangehörigen eines Deutschen auf Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu verweisen, wenn beide zusammenleben, wie es hier bei dem Antragsteller mit seinem deutschen Kind der Fall sei. Der Aufenthalt des Antragstellers in der Bundesrepublik beruhe jedenfalls heute auf dem Zusammenleben mit seinem deutschen Kind. Es handele sich um ein Ausreise- und Abschiebungshindernis, welches das Regierungspräsidium Stuttgart verbindlich anerkannt habe. Entsprechend habe die Ausländerbehörde die auflösende Bedingung zur Duldung gestrichen. Die früheren Angaben im Rahmen der Einreise würden keine Rolle mehr spielen. Der Anordnungsgrund ergebe sich schon daraus, dass hier Leistungen im Streit seien, die unter dem ansonsten als notwendig angesehen Existenzminimum des SGB XII liegen würden. Der Gesetzgeber habe es außerdem seit 1993 unterlassen, die gemäß § 3 Abs. 3 AsylbLG jährlich zu prüfende Anpassung der Leistungen an die Lebenshaltungskosten vorzunehmen.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,

den Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu verurteilen, ihm vorläufig, für die Dauer von wenigstens sechs Monaten, höhere Leistungen als bisher, nach dem SGB II oder nach dem SGB XII zu gewähren.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzuweisen.

§ 2 AsylbLG finde keine Anwendung. Der Antragsteller habe die Dauer des Aufenthaltes in der Bundesrepublik rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst, da er im Jahr 2000 bei der Einreise in die Bundesrepublik angegeben habe, sierra-leonischer Staatsangehöriger zu sein. Seit Ende 2004/Anfang 2005 sei geklärt, dass er nigerianischer Staatsangehöriger sei. Es genüge, dass irgendwann in der Vergangenheit seit der Einreise eine rechtsmissbräuchliche Handlung vorlag, die die Aufenthaltsdauer beeinflusst habe. Auf Artikel 6 des Grundgesetz könne sich der Antragsteller nicht berufen, da die eheähnliche Gemeinschaft nicht geschützt werde. Es liege auch kein Anordnungsgrund vor, da die gewährten Leistungen nach §§ 3 ff. AsylbLG ausreichend seien, um ein menschenwürdiges Leben zu führen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringen der Beteiligten wird auf die beigezogene Verwaltungsakte sowie die Gerichtsakte Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Der Antrag ist zulässig und begründet.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 des Sozialgeri...

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