Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Krankenversicherung: Vergütungsansprüche eines Krankenhauses nach stationärer Behandlung eines Versicherten. Voraussetzung der Anerkennung einer Masken-Beatmung als maschinelle Beatmung. Ermittlung des abrechnungsfähigen Beatmungszeitraums bei einer Masken-Beatmung

 

Orientierungssatz

Die Abrechnung eines Krankenhauses gegenüber einer gesetzlichen Krankenkasse für die künstliche (maschinelle) Beatmung eines Patienten ist auch bei Einsatz eines Maskensystems möglich, wenn dessen Einsatz zur Beatmung notwendig war und eine eigenständige Atmung zur Versorgung des Patienten nicht ausreichend war. Dabei beginnt die abrechnungsrelevante Beatmungszeit mit dem Einsetzen der maschinellen Beatmung. Sie endet nach einer erfolgten Entwöhnung, mithin ab dem Zeitpunkt, in dem der Patient vollständig ohne Masken-Beatmung spontan atmen kann. Das ist erst anzunehmen, wenn der Patient nach Abnahme der Maske mindestens 24 Stunden ohne Beatmung spontan zu atmen in der Lage ist.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 10.03.2022; Aktenzeichen B 1 KR 35/20 R)

BSG (Urteil vom 19.12.2017; Aktenzeichen B 1 KR 18/17 R)

 

Tenor

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 6.174,49 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab 27.07.2013 zu zahlen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird endgültig auf 6.174,49 € festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über den Anspruch auf Vergütung für eine stationäre Krankenhaus (KH)-Behandlung in Höhe von 6.174,49 € wegen der Frage der anrechenbaren Beatmungsstunden.

Die Klägerin betreibt ein nach § 108 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) zur Versorgung der Versicherten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zugelassenes KH in Ulm.

Bei dem 19.. geborenen und bei der beklagten Krankenkasse versicherten Patienten J. K. (P) ist ein kongenitaler Hydrocephalus mit ventrikulopatrialer Shuntanlage sowie eine fokale symptomatische Epilepsie mit komplex fokalen Anfällen bekannt. Er konnte zuletzt im Rollstuhl sitzen und kommunizieren. Nach einem generalisierten epileptischen Anfall am 18.01.2011 wurde P initial ins KH Biberach aufgenommen und am 19.01.2011 bei Fieber bis 41°C in komatösem Zustand auf die Stroke Unit der Neurologischen Klinik der Klägerin verlegt. Eine Punktion des Shuntreservoirs erbrachte einen unauffälligen Befund. Bei beginnender Sepsis und unter der Verdachtsdiagnose einer Aspirationspneumonie wurde eine Antibiose begonnen. Seit 24.01.2011 war P dauerhaft tachykard sowie zunehmend hypoton (Bericht der Neurologischen Universitätsklinik der Klägerin vom 19.01.2011). Aufgrund einer kreislauf- und Hb-wirksamen Magenblutung wurde P vom 25. bis 26.01.2011 in die Klinik für Innere Medizin II des Universitätsklinikums Ulm verlegt und in hämodynamisch stabilem Zustand rückverlegt. Da zu jeder Zeit Schutzreflexe vorhanden waren, wurde dort auf eine Intubation verzichtet (Rückverlegungsbericht des Universitätsklinikums Ulm vom 23.02.2011). Am 27.01.2011 wurde P zunehmend tachykard und hypoton, im Labor fielen deutlich steigende Entzündungswerte auf, so dass P unter dem klinischen Bild einer Sepsis am 27.01.2011 um kurz nach 23 Uhr (Anlage-Bogen von 23:20 Uhr nach Blutabnahme um 23:15 Uhr; erste Blutgasanalyse von 23:09 Uhr) auf die anästhesiologische Intensivstation der Klägerin verlegt wurde. Zur Entlastung bei Tachypnoe wurde P bis zur Verlegung am 01.02.2011 nichtinvasiv beatmet (NIV = noninvasive Ventilation) mittels einer druckkontrollierten bzw. druckunterstützten Beatmung mit dem Gerät Evita4, hierbei zeigte sich eine gute Oxygenierung bei niedrigen O2-Werten. Der Kreislauf musste mit sehr hohen Dosen Arterenol gestützt werden. Der Sepsisherd wurde im Bauchraum vermutet und ein CT des Abdomens durchgeführt, das ca. ein Liter Aszites ergab. Bei schlechter Zugangsmöglichkeit wurde nicht punktiert, eine Übernahme auf die internistische Intensivstation war aus Platzgründen nicht möglich. Trotz Anpassung der Antibiose stiegen die Entzündungswerte drastisch an; zunehmend kam es auch zu vermehrtem gelblichen Auswurf. Bei Verdacht auf eine atypische Pneumonie wurde die Antibiose um Klacid erweitert. Zuletzt war die Oxygenierung unter NIV-Atemunterstützung ordentlich. Ab 31.01.2011 zeigten sich rückläufige Entzündungsparameter, der anfänglich komatöse P zeigte mehr Wachreaktion. Vom zeitlichen Ablauf ging Oberarzt Dr. Bartl davon aus, dass sich der Sepsisherd im Abdomen befand und sich erst zuletzt eine Pneumonie entwickelte (Ärztliche Verlegungsberichte vom 28.01.2011, 01.02.2011, 10.02.2011 und Intensivkurven).

Aus den Intensivkurven ergibt sich, dass bei der Aufnahme am 27.01.2011 ein Atemminutenvolumen (AMV) von 25,8 Litern, ein Kohlendioxidparitaldruck (pCO2) von 23,8 mmHG, eine arterielle Sauerstoffsättigung (SaO2) von 98%, eine inspiratorische Sauerstoffkonzentration (FiO2) von 0,3 und eine Atemfrequenz (AF, Atemzüge pro Minute) von 50 vorlag. Die Paramet...

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