Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch des Krankenhausarztes auf Vergütung der stationären Behandlung eines an einem rezidivierenden Myelom erkrankten Versicherten zur Stammzellentransplantation

 

Orientierungssatz

1. Der Anspruch des Krankenhauses auf Vergütung einer stationären Behandlung des Versicherten setzt nach §§ 109 Abs. 4 S. 3, 112 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, 12 SGB 5 u. a. deren Notwendigkeit voraus. Entscheidend sind die medizinischen Erfordernisse im Einzelfall.

2. Stehen anerkannte Behandlungsmethoden im Einzelfall nicht zur Verfügung, so kann sich die Erforderlichkeit der stationären Behandlung als ultima ratio nach Maßgabe der Rechtsprechung des BVerfG ergeben (Beschluss vom 6. 12. 2005, 1 BvR 347/98).

3. Ein rezidivierendes Myelom ist eine lebensbedrohliche Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht.

4. Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist die Erforderlichkeit der stationären Behandlung mit allogener Stammzellentransplantation bei individueller Eignung des Versicherten zu bejahen.

 

Tenor

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 73.955,25 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.10.2011 zu zahlen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreites.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Vergütung eines vollstationären Krankenhausaufenthaltes. Die Klägerin betreibt ein Zentrum für Blutstammzellen- und Knochenmarkstransplantation. Das Zentrum ist im Krankenhausplan des Landes Hessen mit 18 Transplantationseinheiten ausgewiesen. Das Zentrum ist nach dem sog. JACIE-Standard der Europäischen Gesellschaft für Knochenmark- und Blutstammzellentransplatation (EBMT) und der Internationalen Gesellschaft für Zelltherapie (ISCT) zertifiziert.

Die bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte C. C. (Versicherte) befand sich in der Zeit vom 15.11.2010 bis zum 23.12.2010 in der Klinik der Klägerin zur vollstationären Behandlung.

Bei der Versicherten war im Februar 2004 ein multiples Myelom (Tumorstadium II Lambda Leichtkettenmyelom) festgestellt worden. Die initiale Therapie bestand aus 3 Zyklen Doxorubicin/Dexamethason, einem Zyklus Cyclophosphamid/Doxorubicin/Dexamethason zur Stammzellenmobilisation sowie einer zweimaligen Gabe von Hochdosis-Melphalan mit nachfolgender autologer Stammzellenmobilisation. Die anschließende Thalidomid-Erhaltungstherapie musste nach wenigen Tagen wegen depressiver Verstimmung abgebrochen werden.

Im Dezember 2009 wurde ein Rezidiv des multiplen Myeloms festgestellt. Die Rezidivtherapie bestand aus Lenalidomid und Dexamethason. Anschließend hat die Patienten einen Zyklus CAD zur Mobilisation autologer Stammzellen erhalten. Im September 2010 erhielt die Patienten erneut Melphalan 200 mg/m² mit anschließender autologer Stammzellentransplantation.

Am 15.11.2010 wurde die Patientin zur Behandlung mit allogener Stammzellentransplantationen bei der Klägerin aufgenommen. Der Allgemeinzustand der Patientin wurde mit einem Karnofsky-Index von 100% bewertet. Bei Untersuchungen der Lungenfunktion zeigte sich ein mit 64 % deutlich eingeschränkte CO-Diffusionskapazität, so dass von der Klinik der Komorbiditätsindex nach Sorrer mit 3 angegeben wurde. Weitere Einschränkungen der Organfunktionen oder nicht ausgeheilte Infektionen bestanden nicht. Der Remissionsstatus wurde erneut mit "sehr gute partielle Remission" bewertet. Zur Konditionierung erhielt die Patientin Flurdarabin 30 mg/m² (Tag -6 bis -2), Treosulfan 12 g/m² (Tag -6 bis -4) und ATG 10 mg/kg (Tag -4 bis -2) nach dem Würzburger Konditionierungsprogramm. Am 23.11.2010 erhielt die Patientin das allogene Stammzellentransplantat eines nichtverwandten, HLA-identischen Spenders. Als GvHD-Prophylaxe erhielt die Patientin Bortezomib jeweils 1,3 mg/m². Parallel wurde Sirolimus gegebenen, welches wegen Kopfschmerzen am Tag 13 auf Everolimus umgesetzt wurde. Es trat lediglich eine geringgradige kutane GvHD auf, die sich unter Steroidsalbe zurückbildete. Bereits am Tag 15 zeigte sich ein Spenderchimärismus von 99,6 %. Nach Regeneration der Hämatopoese konnte die Patientin in gutem Allgemeinzustand (Karnofsky-Index 100 %) am 23.12.2010 aus der stationären Behandlung entlassen werden.

Die Klägerin rechnete die Behandlungskosten mit Rechnung vom 29.12.2010 auf der Grundlage der DRG A04D (Knochenmarkstransplantation/Stammzelltransfusion, allogen) und den gesondert berechenbaren Zusatzentgelten in Höhe von ein 73.955,25 EUR ab.

Die Beklagte zahlte zunächst den Rechnungsbetrag und beauftragte den medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) mit der Überprüfung der ordnungsgemäßen Abrechnung sowie der Notwendigkeit der Behandlung. Der MDK teilte mit Gutachten vom 7.3.2011 mit, dass die Kodierung der Abrechnung zwar korrekt sei, eine zwingende medizinische Indikation für die hier erfolgte fremdallogene, HLA-idente Stammzellentransplantationen jedoch nicht zu ersehen sei. Die fremdallogene, HLA-idente Stammzellentransplantationen sei kei...

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