Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Hilfe zum Lebensunterhalt. Mehrbedarf bei Nachweis der Feststellung des Merkzeichens G. keine rückwirkende Leistungserbringung. Einsetzen der Sozialhilfe. Kenntnis des Sozialhilfeträgers von den Leistungsvoraussetzungen. Berücksichtigung erst ab Vorlage des Nachweises

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Anspruch auf Berücksichtigung eines Mehrbedarfs als Schwerbehinderter besteht erst mit der Vorlage des die Schwerbehinderung feststellenden Versorgungsamtsbescheides oder des Schwerbehindertenausweises. Eine in der Bescheidbegründung getroffene Feststellung, seit wann die Behinderung besteht, ist hierfür ohne Bedeutung.

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Beteiligten haben sich keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

 

Tatbestand

Der Kläger bezieht Sozialhilfe und begehrt die Bewilligung eines Mehrbedarfs als Schwerbehinderter auch für die Zeit vor Ausstellung des entsprechenden Schwerbehindertenausweises.

Mit Abhilfebescheid vom 25.07.2010 stellte das Versorgungsamt A-Stadt für den Kläger fest, dass in seiner Person die Voraussetzungen für das Merkzeichen „G“ vorliegen und der Grad seiner Behinderung 100 beträgt. Und darüber hinaus stellte es fest, dass die vorstehenden Festsetzungen ab Dezember 2008 zutreffen. Auf den Bescheid insbesondere hinsichtlich der Begründung der bei dem Kläger vorliegenden Beeinträchtigungen wird Bezug genommen. Daraufhin wurde dem Kläger vom Versorgungsamt unter dem 02. Juli 2010 auch ein entsprechender Schwerbehindertenausweis ausgestellt.

Nach Vorlage dieses Schwerbehindertenausweises am 05. Juli 2010 bei der Behörde für Soziale Arbeit der Beklagten bewilligte diese mit Leistungsbescheid vom 06. Juli 2010 mit Wirkung ab 01. Juli 2010 bis zum 30.04.2011 einen Mehrbedarf als Schwerbehinderter in Höhe von 61,03 Euro monatlich.

Mit dem hiergegen eingelegten Widerspruch machte der Kläger einen Anspruch auf Berücksichtigung des Mehrbedarfs ab dem Zeitpunkt geltend, ab dem bei ihm die Voraussetzungen für die Annahme einer Schwerbehinderung vorlagen, mithin also für die Zeit ab Dezember 2008.

Mit Widerspruchsbescheid vom 03.02.2012 wies die Beklagte den hiergegen eingelegten Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung wird darin ausgeführt, dass die Anspruchsvoraussetzungen für den pauschalierten Mehrbedarf nicht vor Ausstellung des entsprechenden Schwerbehindertenausweises eintreten könnten und verwies insoweit auf eine Entscheidung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 10.11.2011; Az.: B 8 SO 12/10 R).

Am 23.02.2012 hat der Kläger Klage vor dem Sozialgericht Wiesbaden erhoben.

Er weist darauf hin, dass die im Widerspruchsbescheid zitierte Entscheidung des Bundessozialgerichts von November 2011 noch auf der bis zum 06.12.2006 geltenden Fassung des § 30 SGB XII beruhe, nach der in der Tat der Besitz eines Schwerbehindertenausweises als Anspruchsvoraussetzung normiert gewesen sei. Die ab dem 07.12.2006 geltende neue Fassung des § 30 SGB XII stelle aber nicht mehr allein auf den Zeitpunkt der Vorlage des Schwerbehindertenausweises ab.

Zudem sei die erhebliche Behinderung des Klägers bereits bei der Beklagten zuvor aktenkundig gewesen.

Die in dem Bescheid des Versorgungsamtes enthaltene Festlegung des Eintritts der Behinderung finde auch bereits steuerrechtliche Berücksichtigung.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger unter Abänderung des Bescheides vom 06.07.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.02.2012 im Rahmen der Leistungsgewährung nach dem SGB XII für die Zeit vom 01.12.2008 bis zum 30.06.2010 einen Mehrbedarf gemäß § 30 Abs. 1 SGB XII in Höhe von 17 % der maßgeblichen Regelbedarfsstufe zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor, dass es ihr vor dem 05.07.2010 nicht bekannt gewesen sei, dass der Kläger einen Antrag auf Zuerkennung einer Schwerbehinderung bzw. des Merkzeichens „G“ gestellt hat bzw. insoweit ein Klageverfahren angestrengt hatte. Einem Sozialhilfeträger sei nicht zuzumuten, dass er die Notwendigkeit einer Leistung erahne. So bestehe auch kein Anspruch auf eine nachträgliche Gewährung von höheren Leistungen der Hilfe zur Pflege, wenn einer Person von der Pflegekasse nachträglich eine höhere Pflegestufe zuerkannt wurde, der Sozialhilfeträger hiervon aber nichts wusste. Es sei Aufgabe des Leistungsbeziehers, mögliche Mehraufwendungen, die eine abweichende Festsetzung der Regelleistung rechtfertigen könnten, auch der Behörde gegenüber substantiiert vorzutragen und nachzuweisen. Erst dann könne der Leistungsträger überhaupt eine mögliche Übernahme der Kosten prüfen.

Mit der Novellierung sei es dem Gesetzgeber darum gegangen, lediglich die zeitliche Differenz zwischen Erlass des Bescheides einerseits und der Ausstellung des Schwerbehindertenausweises daraufhin andererseits einzuebnen. Eine Einbeziehung auch der Begründung des Bescheides als Wille des Gesetzgebers sei der Gesetzesbegründung in der Bundestagsdrucksache 16/2711, Seite 11 Nr. 8, nicht zu entnehmen.

Auf das Protokoll...

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