Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Mann zu Frau Transsexualismus. geschlechtsangleichende Operation. Voraussetzung für Mamma-Augmentationsplastik. keine Kostenerstattung für Epilationsbehandlung durch Kosmetikerin. Gleichbehandlungsgebot
Leitsatz (amtlich)
1. Voraussetzung für den operativen Brustaufbau bei Mann zu Frau Transsexualismus ist eine gegengeschlechtliche Hormonersatztherapie von ausreichender Intensität und Dauer von in der Regel mindestens 24 Monaten.
2. Eine Epilationsbehandlung bei einer Transsexuellen durch eine Kosmetikerin darf nicht zu Lasten der GKV erbracht werden. Eine Kostenerstattung des Versicherten ist nicht möglich.
Orientierungssatz
Das Gleichbehandlungsgebot des Art 3 Abs 1 GG verbietet es, transsexuellen Versicherten einen umfassenderen leistungsrechtlichen Zugang zu kosmetischen Operationen zu eröffnen, der nicht-transsexuellen Versicherten versperrt ist (vgl LSG Mainz vom 19.5.2016 - L 5 KR 120/15 = juris RdNr 17).
Tenor
I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 05.04.2016, in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.05.2017 sowie des Bescheides vom 06.04.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.05.2018 verurteilt, die Kosten für eine operative Reduktion des Adamsapfels sowie die Korrektur der Stimmbänder bzw. Stimmhöhe zu übernehmen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Beklagte erstattet der Klägerin 2/5 deren außergerichtlichen Kosten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Kosten für geschlechtsangleichende Operationen (Brustvergrößerung, Gesichtsfeminisation, Korrektur des Adamsapfels und der Stimmbänder, Gesichtshaarentfernung).
Die bei der Beklagten krankenversicherte Klägerin wurde 1970 als Mann geboren. Bei ihr besteht eine Mann-zu-Frau-Transsexualität, welche 2015 zu einer Änderung des Vornamens nach dem Transsexuellen-Gesetz führte. Seit August 2015 wird sie mit weiblichen Hormonen behandelt.
Am 09.03.2016 stellte die Klägerin bei der Beklagten befundgestützt einen Antrag auf Kostenübernahme der geschlechtsangleichenden Operationsmaßnahmen der primären und sekundären Geschlechtsmerkmale. Bei den geplanten Operationen handele sich um die geschlechtsangleichende Genitaloperation, die Konstruktion der weiblichen Brust sowie die Feminisation des Gesichts.
Mit Schreiben vom 14.03.2016 unterrichtete die Beklagte die Klägerin über die Weiterleitung der Unterlagen an den MDK.
Die Beklagte lehnte den Antrag - gestützt auf eine sozialmedizinische Stellungnahme des MDK vom 23.03.2016 - ab, da die zeitlichen Voraussetzungen hinsichtlich des psychotherapeutisch begleiteten Alltagstest noch nicht erfüllt seien (Telefonat vom 01.04.2016, Bescheid vom 05.04.2016).
Mit Schreiben vom 29.04.2016 teilte die Klägerin mit, sie werde ihren Antrag zum gegebenen Zeitpunkt wieder vorlegen.
Die Fachärztin für Neurologie und psychotherapeutische Medizin Dr. med. D. übermittelte in der Folge den Physiotherapiebericht vom 12.05.2016 an die Beklagte.
Nach erneuter Einschaltung des MDK teilte die Beklagte der Klägerin mit, eine Beteiligung an den Kosten der beantragten Behandlung sei zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich. Es fehle der Nachweis, dass der Operator über Risiken, Nebenwirkungen und Kontraindikationen der geplanten Operation informiert habe. Außerdem müsse der Alltagstest und die begleitende Psychotherapie mindestens 18 Monate lang durchgeführt werden (Schreiben vom 12.07.2016).
Mit Schreiben vom 25.07.2016 und 04.08.2016 legte die Klägerin ärztliche Bescheinigungen von Dr. D. und Dr. med. Dr. med. dent. C., plastische und ästhetische Chirurgie, Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, vor.
Unter dem 18.08.2016 äußerte der MDK, die Voraussetzungen für die genitalangleichende Geschlechtsoperation seien erfüllt. Bezüglich der feminisierenden Maßnahmen müsse eine erneute Vorlage bei einem Facharzt des MDK für plastische Chirurgie mit aussagekräftiger Fotodokumentation erfolgen.
Die Beklagte erklärte mit Bescheid vom 25.08.2016 die Kostenübernahme für die genitalangleichende Geschlechtsoperation und informierte bezüglich der weiteren Maßnahmen über die Einschätzung des MDK.
Am 09.09.2016 übermittelte die Klägerin Bilder ihres Gesichts und ihres Oberkörpers.
Im Gutachten vom 17.10.2016 teilte der MDK daraufhin mit, die avisierten feminisierenden operativen Maßnahmen stellten plastisch-kosmetische Eingriffe dar. Es handele sich nicht um entstellende Befunde oder eine Erkrankung Sinne des SGB V. Bezüglich der Brust sei eine weitere Hormontherapie abzuwarten.
Die Beklagte informierte im Schreiben vom 26.10.2016 über die Einschätzung des MDK und fragte an, ob der Widerspruch aufrechterhalten bleibe.
Mit Schreiben vom 04.11.2016 bat der Bevollmächtigte der Klägerin um Erlass eines klagefähigen Widerspruchsbescheids.
Nachdem die Klägerin weitere Unterlagen einreichte, erstattete der MDK am 13.02.2017 ein weiteres Gutachten, welches den bisherigen Einschätzungen bestätigte.
Am 09.03.2017 führte Frau Dr. C. die Operation zur Brustvergrößerung in C-Stadt durch.
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