Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Krankenhaus. Berechtigung zur Leistungserbringung. Mindestmenge (hier: "komplexe Eingriffe am Organsystem Ösophagus"). Prognose. positive Fallzahlentwicklung durch strukturelle Veränderung (hier: Etablierung eines Refluxzentrums). Begründungsausschluss nach § 4 Abs 3 MmR
Leitsatz (amtlich)
Ein Begründungsausschluss nach § 4 Abs 3 Mm-R (juris: MmR) liegt lediglich für solche Veränderungen vor, die das Erreichen der Mindestmengen verhindert haben (zB Weggang eines Chefarztes). Strukturelle Veränderungen, die ausschließlich eine positive Fallzahlenentwicklung erwarten lassen, können wiederholt zur Prognosebegründung herangezogen werden.
Tenor
I. Der Bescheid der Beklagten vom 13.08.2019 wird aufgehoben.
II. Die Beklagten tragen die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 288.000,- € festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Berechtigung der Klägerin, im Jahr 2020 unter die Mindestmengenregelung fallende Leistungen erbringen und abrechnen zu dürfen.
Die Klägerin ist Trägerin eines zur Behandlung von Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen zugelassenen Krankenhauses. Die Beklagten zu 1. bis 6. sind die Landesverbände der Krankenkasse und Ersatzkassen in Bayern.
Am 15.07.2019 übermittelte die Klägerin den Beklagten unter anderem ihre Prognose für die Erreichung der Mindestmenge für den Leistungsbereich "komplexe Eingriffe am Organsystem Ösophagus" für das Jahr 2020. Sie gab dabei an, im Zeitraum 01.01.2018 bis 31.12.2018 seien fünf solcher Leistungen erbracht worden. In den letzten zwei Quartalen 2018 und den ersten zwei Quartalen 2019 seien zusammen neun Eingriffe vorgenommen worden. Für das Jahr 2020 betrage die Prognose zwölf Eingriffe. Ergänzend führte die Klägerin an, mit der Etablierung des Refluxzentrums im Oktober 2018 habe die Anzahl der Eingriffe aus dem Leistungskomplex "komplexe Eingriffe am Organsystem Ösophagus" nahezu verdoppelt werden können. Im Zeitraum Januar bis Mai 2019 würden bereits vier entsprechende Eingriffe durchgeführt. Vor diesem Hintergrund gehen sie davon aus, in den Jahren 2019 und 2020 die geforderte Mindestmenge von zehn Eingriffen zu erreichen.
Mit Bescheid vom 13.08.2019 erklärten die Beklagten gegenüber der Klägerin, eine berechtigte mengenmäßige Erwartung der erforderlichen Mindestmenge in Höhe von zehn komplexen Eingriffen am Organsystem Ösophagus liege nicht vor. Deshalb dürften ab 01.01.2020 entsprechende Leistungen nicht bewirkt werden. Zur Begründung führten die Beklagten aus, die erforderliche Mindestmenge würde in beiden genannten Zeiträume nicht erfüllt. Die Unterschreitung der vorgegebenen Mindestmenge werde wie bereits bezüglich des Leistungsjahres 2019 auch im Leistungsjahr 2020 wiederholt mit der Etablierung des Refluxzentrums begründet. Nach § 4 Abs. 3 der Mindestmengenregelung (Mm-R) könnten personelle, strukturelle oder andere Erwägungen kein weiteres Mal in Folge als alleiniger Umstand zur Begründung der Prognose herangezogen werden. Daher könne unter Abwägung aller Umstände der Begründung der Klägerin nicht gefolgt werden.
Am 20.09.2019 hat der Bevollmächtigte der Klägerin Klage bei dem Sozialgericht Würzburg erhoben. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, den Beklagten sei die Etablierung des Refluxzentrums im Oktober 2018 positiv bekannt und sie könnten ohne weiteres anhand der Leistungsmengenentwicklung die Prognose der Klägerin für das Kalenderjahr 2020 nachvollziehen. Bereits aus dem zweiten Halbjahr 2018 und dem ersten Halbjahr 2019 ergebe sich eine Fallzahlsteigerung auf neun Fälle. Somit lasse sich bereits unmittelbar nach Etablierung des Refluxzentrums ablesen, dass die Mindestmenge von zehn Fällen bereits im Kalenderjahr 2019 erreicht bzw. überschritten werde. Mit Schreiben vom 26.02.2020 fügt der Bevollmächtigte an, die Klägerin habe die Leistung im Kalenderjahr 2019 tatsächlich insgesamt 15mal erbracht. Ergänzend trägt er mit Schreiben vom 04.08.2020 vor, die Klägerin habe die Prognose für das Kalenderjahr 2019 ausschließlich mit personellen Veränderungen (Chefarztwechsel) begründet, für das Kalenderjahr 2020 beziehe sie sich auf strukturelle Veränderungen. Bereits denklogisch könne die Gründung eines Refluxzentrums im Oktober 2018 nicht prognostisch in der bereits zuvor abzugebenden Prognose zur Begründung der Prognose für das Kalenderjahr 2019 herangezogen werden. Das Erlösvolumen eines Behandlungsfalles liege durchschnittlich bei 24.000,- €.
Der Bevollmächtigte der Klägerin beantragt zuletzt,
den Bescheid der Beklagten vom 13.08.2019 über die berechtigte mengenmäßige Erwartung der erforderlichen Mindestmenge komplexer Eingriffe am Organsystem Ösophagus für das Kalenderjahr 2020 aufzuheben.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Eine höchst positive Fallzahlentwicklung liege nicht vor. Folgende Fallzahlen habe die Klägerin gemeldet: 2015 vier Eingriffe, 2016 zehn Eingriffe, 2017 acht Eingriffe und 2018 insgesamt fünf Eingriffe, welche allesamt im zweiten Halbjahr...