A. Rechtsanwendung im Erbrecht
Rz. 1
Das Erbrecht ist in der Slowakei weiterhin eine wenig beachtete Rechtsmaterie. Zwar gab es im Zuge der Neugestaltung des Zivilprozessrechts einige kosmetische Änderungen im Erbverfahrensrecht, die sich allerdings hauptsächlich als sprachlicher Natur erweisen und inhaltlich weniger ändern. Die Befugnisse des Notars als Gerichtskommissar zur Abwicklung von Erbschaften wurden ein wenig ausgeweitet. Hinsichtlich des materiellen Erbrechts gibt derzeit weder politische noch gesellschaftliche ernsthafte Bestrebungen, dieses Rechtsgebiet zu reformieren. Die größte Änderung der letzten Jahrzehnte war somit die EuErbVO. Es bleibt abzuwarten, ob der steigende Wohlstand eine öffentliche Debatte anstoßen wird, um den steigenden Bedürfnissen einer postkommunistischen Gesellschaft gerecht zu werden. Wir würden eine weitere Öffnung des slowakischen Erbrechts jedenfalls begrüßen.
Rz. 2
Seit dem 17.8.2015 gilt in der ganzen Europäischen Union die Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäisches Nachlasszeugnisses (EuErbVO).
Bis dahin regelte das Internationale Privatrecht in der Slowakischen Republik das Gesetz Nr. 97/1963 Slg. über das internationale Privat- und Prozessrecht (im Folgenden: "IPR"), dessen Bestimmungen entschieden haben, ob in dem konkreten Falle das Erbrecht des slowakischen Bürgerlichen Gesetzbuches (im Folgenden: "BGB") oder eines anderen Staates zur Anwendung kam.
Rz. 3
Bestimmungen eventueller völkerrechtlicher Verträge im Bereich des Erbrechts gehen dem IPR vor. Zwischen der Slowakischen Republik und Bundesrepublik Deutschland wurde kein solches bilaterales Abkommen abgeschlossen.
B. Materielles Erbrecht
I. Gesetzliche Erbfolge
1. Grundlagen
Rz. 4
Die gesetzliche Erbfolge wird stets angewendet, wenn der Erblasser nicht testamentarisch über sein gesamtes Vermögen verfügt hat oder wenn eine solche Verfügung des Erblassers nicht wirksam getroffen wurde.
Rz. 5
Die gesetzliche Erbfolge wird in den §§ 473–475a BGB geregelt. Für die Bestimmung der gesetzlichen Erbfolge ist die Aufteilung der Verwandtschaft in verschiedene Ordnungen (Parentele) von entscheidender Bedeutung. Neben der Verwandtschaft erben auch der Ehegatte sowie unter bestimmten Bedingungen Personen, die in einem gemeinsamen Haushalt mit dem Erblasser gelebt haben. Das slowakische BGB bestimmt vier Ordnungen, wobei grundsätzlich das Repräsentationsprinzip gilt (mit Ausnahme der zweiten Ordnung).
2. Erste Ordnung
Rz. 6
In der ersten Ordnung erben die Kinder und der Ehegatte des Erblassers zu jeweils gleichen Teilen. Die Kinder des Erblassers können ausschließlich in der ersten Ordnung erben und ihre Stellung als Erben ist nicht an eine Erbstellung des Ehegatten gebunden. Falls ein Kind nicht erbt, geht sein Erbteil zu gleichen Teilen auf dessen Kinder über. Erben auch diese Kinder oder eines von ihnen nicht, so erben zu gleichen Teilen die Abkömmlinge des nicht erbenden Kindes.
Der Ehegatte kann in der ersten Ordnung allerdings nicht allein erben. Seine Erbberechtigung in der ersten Ordnung ist daher nur dann gegeben, wenn mindestens ein erbwürdiges Kind des Erblassers existiert.
Rz. 7
Für die Erbenstellung der Kinder des Erblassers ist es unerheblich, ob diese ehelich oder unehelich gezeugt bzw. adoptiert wurden. Auch der nasciturus genießt gemäß § 7 BGB eine unbeschränkte Erbfähigkeit.
Gemäß § 82 des Gesetzes Nr. 36/2005 Slg. Familiengesetz (im Folgenden: "FamG") ist die Mutter des Kindes die Frau, die das Kind geboren hat.
Rz. 8
Die Vaterschaft eines Mannes kann nach der slowakischen Rechtsordnung in dreifacher Weise bestimmt werden. § 85 Abs. 1 FamG verankert die Vermutung, wonach Vater des Kindes ist, wer im entsprechenden Zeitraum mit der Mutter des Kindes verheiratet gewesen ist. Ist die Bestimmung der Vaterschaft hierdurch nicht möglich oder wird die Vermutung widerlegt, kann gemäß § 90 FamG die Vaterschaft durch übereinstimmende Erklärung beider Elternteile vor der zuständigen Behörde anerkannt werden. Wenn auch diese Art nicht in Betracht kommt, besteht sowohl für den Vater und die Mutter als auch für das Kind die Möglichkeit, einen Antrag auf Bestimmung der Vaterschaft beim zuständigen Gericht zu stellen.
Rz. 9
Auch die adoptierten Kinder erbberechtigt. Gemäß § 97 FamG sind adoptierte Kinder leiblichen Kindern gleichgestellt.
Anderes gilt hingegen für Pflege- oder Stiefkinder, welche grundsätzlich nicht in der ersten Ordnung erben. Allerdings besteht die Möglichkeit, dass Pflege- oder Stiefkinder in der zweiten oder dritten Ordnung erben.
Rz. 10
Gesetzliche Voraussetzung für die Erbenstellung des Ehegatten ist eine formalgültige Ehe mit dem Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes. Das Zusammenleben in einem gemeinsamen Haushalt ist dabei nicht erforderlich. Allerdings entsteht durch das Zusammenleben in einem gemeinsamen Haushalt i...