Rz. 45
Das Zugangsrecht zu einer freiwilligen Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung für Schwerbehinderte knüpft an die frühere Regelung in § 176c RVO an. Das Beitrittsrecht als schwerbehinderter Mensch nach dem SGB IX setzt einen Grad der Behinderung (GdB) von wenigstens 50 % voraus. Die Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen bei einem geringeren GdB (§ 151 Abs. 2 SGB IX, vormals: § 2 Abs. 3 SGB IX) begründet kein Beitrittsrecht (so auch Wiegand, in: Eichenhofer/Wenner, SGB V, 2. Aufl., § 9 Rz. 24; Just, in: Becker/Kingreen, SGB V, 8. Aufl., § 9 Rz. 15; so nunmehr auch Vossen, in: Krauskopf, SozKV, 121. EL Februar 2024, SGB V, § 9 Rz. 20).
Rz. 46
Der GdB und die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch bestehen zwar unabhängig von einem förmlichen Bescheid der Versorgungsverwaltung. Das Beitrittsrecht setzt jedoch, wie sich aus dem Fristbeginn in Abs. 2 Nr. 4 ergibt, die förmliche Feststellung der Behinderung und deren Grad voraus (so auch Peters, in: BeckOGK, Stand: 1.8.2019, SGB V, § 9 Rz. 35; Vossen, in: Krauskopf, SozKV, 121. EL Februar 2024, SGB V, § 9 Rz. 21; a. A. Just, in: Becker/Kingreen, SGB V, 8. Aufl., § 9 Rz. 15 unter Bezugnahme auf frühere Rechtsprechung zur RVO). Dies hat, nach der Neufassung des SGB IX durch Art. 1 des Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz – BTHG), durch eine eigenständige Feststellung auf Antrag durch die Versorgungsverwaltung nach § 152 Abs. 1 SGB IX (bis 31.12.2017 nach § 68 SGB IX) zu erfolgen.
Rz. 46a
Eine solche Feststellung ist zwar dann nicht mehr erforderlich, wenn das Vorliegen einer Behinderung und der Grad einer auf ihr beruhenden Erwerbsminderung schon in einem Rentenbescheid, einer entsprechenden Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung oder einer vorläufigen Bescheinigung der für diese Entscheidungen zuständigen Dienststellen getroffen worden ist (§ 152 Abs. 2 SGB IX). Dies gilt jedoch nicht, wenn der behinderte Mensch ein Interesse an anderweitiger Feststellung nach § 152 Abs. 1 glaubhaft macht. Da der Fristbeginn für den Beitritt gerade an diese förmliche Feststellung nach § 152 Abs. 1 SGB IX anknüpft, besteht in diesen Fällen auch ein besonderes Interesse an der Festellung durch die Versorgungsverwaltung. Die Feststellung der Versorgungsverwaltung hat für die Krankenkassen und das Beitrittsrecht und auch den Fristbeginn Tatbestandswirkung. Der Beitritt kann daher nicht deshalb von der Krankenkasse verweigert werden, weil diese die Schwerbehinderung von 50 % GdB in Abrede stellt oder auf eine schon früher erfolgte Feststellung der Schwerbehinderung nach § 152 Abs. 2 SGB IX erfolgt war, für die die Beitrittsfrist verstrichen ist. Aufgrund der Tatbestandswirkung begründet auch erst die Anerkennung und/oder die Ausstellung eines Ausweises das Beitrittsrecht und hat nicht nur für die Beitrittsfrist Bedeutung.
Rz. 46b
Eine vor Feststellung der Schwerbehinderung erfolgte Erklärung eine freiwilligen Mitgliedschaft begründen zu wollen ist allerdings grundsätzlich möglich, entfaltet aber bis zur Feststellung der Behinderung keine Bindungswirkung (BSG, Urteil v. 22.9.1988, 12 RK 44/87; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 10.6.2010, L 5 KR 120/09). Dies gilt insbesondere auch hinsichtlich der mit der Beitrittserklärung erforderlichen Wahlrechtserklärung nach § 175 für die Zuständigkeit einer Krankenkasse für die freiwillige Mitgliedschaft, sodass die Beitrittsberechtigten bis zum Mitgliedschaftsbeginn auch eine andere Krankenkasse als zuständig wählen können.
Rz. 47
Unerheblich ist, wie der Status des schwerbehinderten Menschen sonst krankenversicherungsrechtlich zu beurteilen wäre. Daher sind anerkannte schwerbehinderte Menschen auch als versicherungsfreie Beschäftigte (§ 6 Abs. 1, § 7), von der Krankenversicherungspflicht Befreite, Erwerbslose oder Rentenbezieher beitrittsberechtigt. Das Beitrittsrecht ist auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass weiterhin eine versicherungspflichtige Beschäftigung, von der nach § 8 befreit worden war, ausgeübt wird. Der Beitritt als schwerbehinderter Mensch führt jedoch nicht dazu, dass die ausgesprochene Befreiung in der Krankenversicherung ihre Wirksamkeit verliert, sodass dann trotzdem nur eine freiwillige Mitgliedschaft möglich ist. § 191 Nr. 2 steht dem nicht entgegen.
Rz. 48
Das Beitrittsrecht setzt die Erfüllung einer Vorversicherungszeit in der gesetzlichen Krankenversicherung voraus. Diese beträgt 3 Jahre innerhalb der letzten 5 Jahre vor dem Beitritt. Diese Versicherungszeit muss nicht zusammenhängend verlaufen sein, sodass Versicherungszeiten von insgesamt 1.095 Tagen in den letzten 5 Jahren nachzuweisen sind. Die Rahmenfrist errechnet sich vom Tag der Beitrittserklärung an. Durch das Erfordernis der Vorversicherungszeit wird ein zumindest früherer Bezug zur gesetzlichen Krankenversicherung auch für anerkannte Behinderte vorausgesetzt.
Rz. 49
Die Vorversicherungszeiten können alternativ durch den Beitrittsberechtigten selbst, einen Elter...