1 Leitsatz
Ein Wohnungseigentümer, dem nach einer Vereinbarung an einer Fläche oder einem Raum ein Sondernutzungsrecht zusteht, kann dieses ungeachtet § 9a Abs. 2 WEG selbst entstören und die Rechte aus § 1004 BGB ausüben.
2 Normenkette
§§ 9a Abs. 2, 10 Abs. 1 Satz 2, 16 Abs. 1 Satz 3; § 1004 Abs. 1 BGB
3 Das Problem
Das LG weist die Klage nach mündlicher Verhandlung vom 4.2.2021 ab und lässt die Revision zu. Es meint, K sei nicht befugt, eine Beseitigung zu verlangen. Abwehrrechte aus § 14 Abs. 1 Nr. 1 WEG stünden nur noch der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer zu. Ein Beseitigungsanspruch bestehe auch nicht in Bezug auf das Sondernutzungsrecht. Das Sondernutzungsrecht werde nicht beeinträchtigt, da der Stellplatz weiter erreichbar sei und die Mauer- und Zaunanlage lediglich das Rangieren mit Fahrzeugen auf der dem Stellplatz vorgelagerten Gemeinschaftsfläche erschwere. Für die Ansprüche aus § 1004 BGB auf Beseitigung von Beeinträchtigungen des gemeinschaftlichen Eigentums sei gem. § 9a Abs. 2 Fall 1 WEG die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer zuständig. Insoweit habe der Kläger seine Prozessführungsbefugnis verloren.
4 Die Entscheidung
Die Revision hat Erfolg! Richtig sei, dass der Anspruch aus § 14 Abs. 1 Nr. 1 WEG der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer zugewiesen sei (Hinweis auf BGH, Urteil v. 16.7.2021, V ZR 284/19, Rn. 13).
K habe aber die Prozessführungsbefugnis für den sich aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergebenden Anspruch auf Entstörung noch nicht verloren. Denn die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer habe dem BGH einen entgegenstehenden Willen nicht mitgeteilt. Das LG müsse daher jetzt klären, ob B das gemeinschaftliche Eigentum störe.
5 Hinweis
Problemüberblick
Im Fall klagt ein Wohnungseigentümer gegen eine behauptete Störung des gemeinschaftlichen Eigentums, seines Sondereigentums und eines Stellplatzes, an dem er ein Sondernutzungsrecht hat. Zu klären ist, welche Rechte er jeweils hat.
Störung des Sondereigentums
Stellt ein Wohnungseigentümer eine unzulässige bauliche Veränderung fest, durch die sein Sondereigentum gestört wird, kann er gegen diese Veränderung nach § 14 Abs. 2 Nr. 1 WEG und/oder § 1004 Abs. 1 BGB vorgehen.
Störung des Sondernutzungsrechts
Stellt ein Wohnungseigentümer eine unzulässige bauliche Veränderung fest, durch die ein Raum oder eine Fläche gestört werden, an denen er ein Sondernutzungsrecht hat, kann er gegen diese Veränderung nach § 1004 Abs. 1 BGB vorgehen. Diese Klärung ist der zentrale Inhalt der Entscheidung. Einem Vorgehen müsste eigentlich § 9a Abs. 2 WEG entgegenstehen. Dies lehnt der BGH mit Blick auf den Inhalt der Sondernutzungsrechtsvereinbarung ab.
Störung des gemeinschaftlichen Eigentums
Stellt ein Wohnungseigentümer eine unzulässige bauliche Veränderung fest, durch die das gemeinschaftliche Eigentum gestört wird, kann er 1. gegen diese Veränderung nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 WEG und/oder § 1004 Abs. 1 BGB vorgehen, wenn ihn die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer dazu ermächtigt (Elzer, ZWE 2021, S. 188, 189). Der Verwalter ist dazu nicht befugt. Seine Erklärung namens der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer geht m. E. trotz § 9b Abs. 1 Satz 1 WEG ins Leere, da Verwalter und Wohnungseigentümer wissen, dass es an einer Willensbildung fehlt.
Ferner kann er sich 2. an den Verwalter wenden und behaupten, dieser sei nach § 27 Abs. 1 Nr. 1 WEG befugt, ohne eine Beschlussfassung gegen den Störer vorzugehen. Dem ist zuzustimmen, wenn es sich um eine Maßnahme handele, die eine untergeordnete Bedeutung hat und nicht zu erheblichen Verpflichtungen führt. In der Regel wird es nicht so sein: Die Frage, ob die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer gegen einen Störer vorgeht, ist nicht untergeordnet (Hügel/Elzer, WEG, 3. Aufl. 2021, § 27 Rn. 65; so wohl auch, aber ambivalenter, Dötsch/Schultzky/Zschieschack, WEG-Recht 2021, 2021, Kap. 9 Rn. 138).
Und der Wohnungseigentümer kann sich 3. an den Verwalter wenden und diesen bitten, das Verlangen auf Beseitigung/Rückbau auf die Tagesordnung einer Versammlung zu setzen oder zum Gegenstand eines Beschlusses außerhalb der Versammlung zu machen (der 2. Weg verdrängt wegen des Quorums des § 23 Abs. 3 Satz 1 WEG allerdings nur im Fall einer erfolgreichen Beschlussfassung die Versammlung). Kommt der Verwalter dem Verlangen nach, müssen sich die Wohnungseigentümer mit der Beseitigung/dem Rückbau befassen (weigert sich der Verwalter, muss die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer nach § 43 Abs. 2 Nr. 2 WEG in einem 1. Schritt verklagt werden, den Gegenstand zum Inhalt einer Versammlung zu machen). Entscheiden sich die Wohnungseigentümer für ein Vorgehen, ist das nach § 19 Abs. 1 WEG zu beschließen. Den Beschluss muss der Verwalter als Organ der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer ausführen.
Schließlich können die Wohnungseigentümer 4. die bauliche Veränderung "legalisieren", diese also genehmigen (Hügel/Elzer, WEG, 3. Aufl. 2021, § 20 Rn. 50) – ggf. der "Königsweg". Dann muss der Wohnungseigentümer, der sich gestört fühlt, nach § 44 Abs. 1 Satz 1 WEG gegen den Beschluss nach § 20 Abs. 1 WEG vorgehen – in aller Regel...