Leitsatz

Gegenstand des Verfahrens war die Frage, unter welchen Voraussetzungen die elterliche Sorge entzogen und ein Kind aus dem Haushalt seiner Mutter herausgenommen werden kann, wenn bezüglich zweier Geschwisterkinder eine massive psychische und soziale Vernachlässigung und Verwahrlosung im Hause der Mutter feststellbar ist und keine Aussicht darauf besteht, dass das betroffene Kind eine bessere Entwicklung nehmen kann.

 

Sachverhalt

Die in diesem Verfahren allein betroffene Tochter war am 14.3.2009 geboren und aus der am 7.11.2008 geschlossenen Ehe ihrer Eltern hervorgegangen.

Die Kindesmutter hatte aus früheren Beziehungen zwei weitere Kinder.

Für eines dieser beiden Kinder betreffend war bereits im Jahre 2005 aufgrund einer Gefährdungsmitteilung des Jugendamtes ein Verfahren nach §§ 1666, 1666a BGB vom FamG geführt und nach Einholung eines psychiatrischen Gutachtens eingestellt worden, nachdem sich die Kindesmutter mit ambulanten Jugendhilfemaßnahmen einverstanden erklärt hatte.

Im Juni 2008 erfolgte erneut eine Gefährdungsmitteilung des Jugendamtes wegen der Gefährdung beider Kinder. Das FamG entzog der Kindesmutter mit Beschlüssen vom 30.7.2009 das Aufenthaltsbestimmungsrecht, das Recht der Gesundheitsfürsorge und das Recht, Anträge auf Leistungen nach dem Jugendhilfegesetz zu stellen und ordnete insoweit Ergänzungspflegschaft an. Das Jugendamt wurde zum Ergänzungspfleger bestimmt und brachte beide Kinder 2009 in einer Wohngruppe unter. Eines der Kinder hielt sich weiterhin dort auf, das andere wechselte im November 2009 zu seinem Vater, dem inzwischen die elterliche Sorge übertragen worden war.

Die Kindesmutter hatte zu einem der Kinder Besuchskontakte.

Im vorliegenden Verfahren hatte das Jugendamt im Februar 2009 eine Gefährdung der damals noch ungeborenen Tochter angezeigt. Das FamG hat den Sachverständigen, der auch in den Verfahren hinsichtlich der anderen Kinder tätig geworden war, gebeten, die Tochter in die Begutachtung einzubeziehen. Ein schriftliches Gutachten wurde am 3.4.2009 erstattet.

Das Jugendamt und die Verfahrenspflegerin haben beantragt, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Kinder außerhäuslich untergebracht werden können.

Die Kindeseltern haben darum gebeten, hiervon abzusehen.

Das FamG hat sodann den Kindeseltern bezüglich der im März 2009 geborenen Tochter das Aufenthaltsbestimmungsrecht, das Recht der Gesundheitsfürsorge und das Recht, Anträge auf Leistungen nach dem Jugendhilfegesetz zu stellen, entzogen. Auch hier wurde Ergänzungspflegschaft angeordnet und das Jugendamt als Ergänzungspfleger ausgewählt. J. wurde auf Veranlassung des Ergänzungspflegers am 18.9.2009 in einer Bereitschaftspflege untergebracht, wo sie seither lebte.

Gegen diesen Beschluss wandten sich die Kindeseltern mit der Beschwerde und beantragten hierfür Prozesskostenhilfe.

Ihr Rechtsmittel blieb ohne Erfolg, Prozesskostenhilfe wurde nicht gewährt.

 

Entscheidung

Das OLG folgte der Auffassung des erstinstanzlichen Gerichts.

Bei der Beurteilung, ob und wenn ja welche Maßnahmen nach den - vom BVerfG für verfassungsrechtlich unbedenklich befundenen - §§ 1666, 1666a BGB erforderlich seien, sei der besondere Schutz zu beachten, unter dem die Familie sowohl nach dem Grundgesetz als auch nach der Europäischen Menschenrechtskonvention stehe.

Den dort formulierten strengen Anforderungen und verfassungsrechtlichen Maßstäben werde die erstinstanzliche Entscheidung gerecht.

Der Sachverständige habe in seinem - von den Eltern letztendlich nicht in Frage gestellten - Gutachten bezüglich der Kindesmutter eine Reife- und Entwicklungsstörung der Persönlichkeit mit deutlichen dissoziativen Tendenzen festgestellt. Die Mutter habe sich als eine "Als-ob-Persönlichkeit" aufgebaut, um sich an die Situation anpassen zu können und zu überleben. Bei ihr stelle sich stets die Frage, wo sich ihr echter Persönlichkeitskern befinde. Offenbar lebe sie seit ihrer Kindheit infolge der traumatisch belastenden frühkindlichen Lebenserfahrungen in einer Schutzdissoziation. Ihre Persönlichkeit könne als nicht entwickelt bezeichnet werden.

Aufgrund ihrer Reife- und Bindungsstörung fehle es der Kindesmutter an grundlegenden Voraussetzungen zur positiven Beurteilung ihrer Erziehungsfähigkeit.

Der Kindesvater habe eine wenig entwickelte Persönlichkeit, eine deutliche Reifestörung und reduzierte Bindungsfähigkeit. Er entwickle nur bei sehr starkem Eigeninteresse Initiative.

Angesichts der massiven Erziehungsversäumnisse der Kindesmutter bezüglich der bei älteren Kinder bestehe keinerlei Aussicht darauf, dass die im März 2009 geborene Tochter eine bessere Entwicklung nehme. Bezüglich dieser liege keine erst langfristig zu befürchtende Gefährdung vor, vielmehr sei diese gegenwärtig und derart konkretisiert, dass sich bei weiterer Entwicklung eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lasse.

 

Link zur Entscheidung

Saarländisches OLG, Beschluss vom 18.02.2010, 6 UF 96/09

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