Leitsatz
In einem Sorgerechtsverfahren äußerte die Mutter gegen den Vater den Verdacht des sexuellen Missbrauchs ihrer aus einer früheren Beziehung hervorgegangenen Tochter. Daraufhin wurde das Sorgerechtsverfahren hinsichtlich zweier gemeinsamer Kinder ausgesetzt. Das OLG hatte darüber zu entscheiden, ob die Aussetzung des Sorgerechtsverfahrens berechtigt ist.
Sachverhalt
Aus der nichtehelichen Lebensgemeinschaft der Parteien waren drei in den Jahren 2006 und 2008 geborene Kinder hervorgegangen. Darüber hinaus lebte in ihrem Haushalt noch ein aus der vorherigen Beziehung der Mutter stammendes Kind, das im Jahre 2001 geboren war.
Das Sorgerecht für ihre beiden gemeinsamen älteren Kinder übten die Eltern aufgrund von Sorgeerklärungen zunächst gemeinsam aus. Nach der Beendigung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft im April 2008 strebten beide Parteien wechselseitig das alleinige Sorgerecht für die beiden Kinder an.
Mit Beschluss vom 16.7.2008 übertrug das AG im Wege der einstweiligen Anordnung das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die beiden Kinder auf den Vater. Hiergegen wandte sich die Mutter mit ihrem Abänderungsantrag, den sie u.a. mit dem Verdacht des sexuellen Missbrauchs ihrer aus einer anderen Beziehung stammenden Tochter M. begründete. Gleichzeitig erstattete sie Strafanzeige gegen den Vater, der sich vehement gegen den Vorwurf wehrte.
Nach persönlicher Anhörung der Eltern, des Jugendamtes sowie der Vernehmung zweier Zeugen hat das AG mit Beschluss vom 1.9.2008 in Abänderung der bestehenden Regelung das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die beiden älteren Kinder der Parteien im Wege der einstweiligen Anordnung auf die Mutter übertragen und mit weiterem Beschluss vom 11.9.2008 das Sorgerechtsverfahren wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs nach § 149 ZPO ausgesetzt.
Hiergegen wehrte sich der Vater mit seiner Beschwerde und vertrat die Auffassung, dass die Aussetzung gegen den Amtsermittlungs- sowie gegen den Beschleunigungsgrundsatz verstoße. Im Übrigen sei nicht ersichtlich, weshalb das Gericht von der Einholung eines entsprechenden Glaubwürdigkeitsgutachtens keinen Gebrauch mache.
Das Rechtsmittel des Vaters führte zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses.
Entscheidung
Das OLG wies in seiner Entscheidung zunächst darauf hin, dass eine Aussetzungen von Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit nur in bestimmten Ausnahmefällen vorgesehen sei. In Sorgerechtsverfahren unter den Voraussetzungen des § 42 Abs. 2 FGG, die nicht gegeben seien. Danach solle das Gericht - soweit dies nicht zu einer für das Kindeswohl nachteiligen Verzögerung führe - das Verfahren aussetzen, wenn die Beteiligten bereit seien, außergerichtliche Beratungen in Anspruch zu nehmen oder nach freier Überzeugung des Gerichts Aussicht auf ein Einvernehmen der Beteiligten bestehe.
Trotz dieser eng umgrenzten Voraussetzungen für eine Aussetzung sei eine solche nach einhelliger Meinung in Literatur und Rechtsprechung nicht auf die normierten Fälle beschränkt, sondern grundsätzlich zulässig (vgl. OLG Köln FamRZ 2002, 1124; Jansen, FGG, 3. Aufl., Vorbm. §§ 8-18 Rz. 39 ff. m.w.N.; Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 15. Aufl., § 12 Rz. 98).
Voraussetzung hierfür sei jedoch die Abhängigkeit der Entscheidung von jener, die in einem anderen Rechtsstreit oder in einem Verwaltungsverfahren zu treffen sei. Dies sei nur dann der Fall, wenn im anderen Verfahren über ein Rechtsverhältnis entschieden werde, dessen Bestehen für den vorliegenden Rechtsstreit präjudizielle Bedeutung habe.
Vorliegend sei nicht erkennbar, inwieweit der Ausgang bzw. das Ergebnis des Strafverfahrens gegen den Antragsteller für die Entscheidung des vorliegenden Verfahrens bindend und damit "vorgreiflich" wäre. An Feststellungen in einem Strafurteil sei das FamG nicht gebunden. Es sei vielmehr befugt, den Sachverhalt selbständig aufzuklären und nicht gehindert, die Tatsachen, die der Strafrichter als nicht erwiesen erachtet habe, gleichwohl als wahr festzustellen oder umgekehrt.
Zwar werde eine Aussetzung auch dann für statthaft gehalten, wenn sie notwendig und sachdienlich sei, um eine Klärung des Sachverhalts herbeizuführen. Soweit das AG hier die Auffassung vertrete, dass die Strafverfolgungsbehörden über bessere Erkenntnismöglichkeiten verfügen würden, konnte sich das OLG dieser Auffassung nicht anschließen. In Sorgerechtsverfahren ständen dem FamG nicht minder ausreichende Aufklärungsalternativen zur Verfügung, die das AG nicht ansatzweise ausgeschöpft habe.
Die Aussetzung des Verfahrens widerspreche im vorliegenden Fall damit nicht dem Interesse der Beteiligten an dem Fortgang und Abschluss des Verfahrens, sondern in aller Regel auch dem Kindeswohl, weil dadurch keine klaren, sicheren Verhältnisse geschaffen würden. Deshalb werde es für nicht sachgerecht gehalten, die Sache vorerst auf sich beruhen zu lassen, um später weitere Ermittlungen anzustellen.
Link zur Entscheidung
Thüringer OLG, Beschluss vom 15.12.2008, 1 WF 433/08