Sachverhalt
Bei dem ungarischen Verfahren ging es um die Steuerbefreiung für Ausfuhrlieferungen nach Art. 15 der 6. EG-Richtlinie bzw. Art. 131, 146 und 273 MwStSystRL. Art. 15 Satz 1 der 6. EG-Richtlinie und Art. 131 MwStSystRL gestatten es den Mitgliedstaaten, die Steuerbefreiung von Ausfuhrlieferungen von weiteren Bedingungen abhängig zu machen. Das ungarische MwStG sieht vor, dass eine Steuerbefreiung für Ausfuhrlieferung nur in Betracht kommt, wenn die Lieferung innerhalb einer Frist von 90 Tagen ab dem Lieferzeitpunkt erfolgt.
Der Kläger des Ausgangsverfahrens ist ein Großhandelsunternehmen, das seine in Ungarn hergestellten Erzeugnisse u.a. in Drittländer veräußert. Das Unternehmen stufte in den Jahren 2007 und 2008 Lieferungen als steuerfreie Ausfuhrlieferungen ein, obwohl die im HU-MwStG geregelte "Lieferfrist" (§ 98 Abs. 1 des Gesetzes Nr. CXXVII aus 2007) überschritten war. Die Finanzbehörde bestritt nicht, dass die Gegenstände ausgeführt und nach Orten außerhalb des Gebiets der Gemeinschaft befördert wurden, und dass die Incoterm-Klausel "Ex Works" Anwendung fand, nach der das Recht, über die Ware zu verfügen, die Haftung und die Gefahr bei der Übergabe der Ware an den Käufer am Ort der Betriebsstätte der Klägerin übergehen. Sie meinte jedoch, rechtlich gesehen seien die Umsätze, die den Rechnungen über den Verkauf der Gegenstände zugrunde lägen, keine steuerfreien Ausfuhrlieferungen, die ein Recht auf Vorsteuerabzug begründeten, da der Zeitraum zwischen der Lieferung und der Ausfuhr dieser Gegenstände die in § 98 Abs. 1 des neuen HU-MwStG geregelten Fristen überschreite.
Die Finanzbehörde war der Ansicht, dass im HU-MwStG vier Voraussetzungen vorgesehen seien, die kumulativ vorliegen müssten, damit eine Lieferung als steuerfreie Ausfuhrlieferung angesehen werden könne: die Gegenstände müssten infolge der Lieferung in das Gebiet eines Drittlands gelangt sein, die Gegenstände müssten das Gebiet der Gemeinschaft innerhalb der vorgesehenen Frist verlassen, der Verkäufer müsse über ein Ausfuhrzertifikat oder einen Ausfuhrnachweis verfügen und die Gegenstände müssten als unmittelbare Folge der Lieferung in das Gebiet eines Drittlands ausgeführt werden, so dass zwischen der Lieferung und dem Verbringen ihre Nutzung oder ihr Gebrauch ausgeschlossen seien.
Das vorlegende Gericht bat den EuGH um Klärung, ob die im ungarischen Umsatzsteuergesetz vorgesehene Lieferfrist bzw. Ausfuhrfrist mit den Vorgaben des Unionsrecht vereinbar ist, und hatte hierzu 5 Fragen vorgelegt. Die Fragen richteten sich im Wesentlichen darauf, ob die Steuerbefreiung einer Ausfuhrlieferung ungeachtet des Gelangens der Ware in das Drittlandsgebiet allein wegen Überschreitung der Ausfuhrfrist versagt werden kann.
Entscheidung
Der EuGH hat entschieden, dass die Mitgliedstaaten die Steuerbefreiung einer Ausfuhrlieferung nicht allein wegen des Überschreitens einer im nationalen Recht festgelegten Frist, innerhalb derer der Liefergegenstand ausgeführt sein muss, verweigern dürfen. Zwar kann unter dieser Voraussetzung eine Ausfuhrlieferung (zunächst) besteuert werden. Das Fristversäumnis muss nach dem EuGH-Urteil jedoch dadurch heilbar sein, dass der Lieferer den Nachweis der Ausfuhr führt.
Hinweis
Das deutsche Recht ist zwar von dem Urteil nicht unmittelbar betroffen, weil § 6 UStG (abgesehen von der 3-Monats-Frist den Fällen des nichtkommerziellen Reiseverkehrs, § 6 Abs. 3a Nr. 2 UStG) die Steuerfreiheit von Ausfuhrlieferungen nicht mit einer bestimmte "Lieferfrist bzw. Ausfuhrfrist" verknüpft.
Interessant sind aber die Ausführungen des EuGH zum Nachweis einer Ausfuhrlieferung. Nach dem Urteil ergibt sich aus dem in Art. 146 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL verwendeten Begriff "versandt", dass die Ausfuhr eines Gegenstands durchgeführt worden und die Steuerbefreiung der Ausfuhrlieferung anwendbar ist, wenn das Recht, wie ein Eigentümer über diesen Gegenstand zu verfügen, auf den Erwerber übertragen worden ist, der Lieferer nachweist, dass der Gegenstand an einen Ort außerhalb der Union versandt oder befördert worden ist und der Gegenstand aufgrund dieses Versands oder dieser Beförderung das Hoheitsgebiet der Union physisch verlassen hat. Der EuGH zitiert in diesem Zusammenhang seine gleichlautende Rechtsprechung zum Nachweis innergemeinschaftlicher Lieferungen (Urteile v. 27.9.2007, C-409/04,Teleos u. a., v. 7.12.2010, C-285/09, R., und v. 6.9.2012, C-273/11, Mecsek-Gabona).
Damit verfestigt sich der Eindruck, dass der EuGH sowohl für Ausfuhrlieferungen als auch für innergemeinschaftliche Lieferungen es für zumutbar hält, dass der Lieferer das Gelangen des Liefergegenstands an den Bestimmungsort nachzuweisen hat. Dies könnte auch ein Indiz dafür sein, dass die für Zwecke des § 6a UStG eingeführte sog. Gelangensbestätigung gem § 17a Abs. 2 UStDV insbesondere mit dem unionsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar ist. Als weiterer Beleg dafür könnte sprechen, dass der EuGH es für zulässig hält, wenn ein Mitgliedstaat gestützt auf die al...