Die Austrittserklärung Großbritanniens vom 29.03.2017 nimmt auf Art. 50 des AEUV Bezug und betrifft nach ihrem Wortlaut nur die EU. Als EU-Mitgliedstaat war das VK jedoch nach dem EWRA gleichzeitig auch Mitgliedstaat des EWR. Ein dem Art. 50 AEUV entsprechendes Verfahren enthält das EWRA nicht. Nach Art. 127 EWRA kann ein Mitgliedstaat unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von zwölf Monaten austreten.

Für den Beitritt zum EWR bedarf es indes nur für die Staaten einer separaten Beitrittserklärung, die nicht bereits EU-Mitglied sind. Daraus wird umgekehrt überwiegend gefolgert, dass der Austritt aus der EU automatisch auch die EWR-Mitgliedschaft entfallen lässt bzw. in diesem Fall eine gesonderte Beitrittserklärung Großbritanniens erforderlich gewesen wäre, um im EWR zu bleiben oder dies nach dem EU-Austritt wieder zu werden (so auch die Ausarbeitung der Unterabteilung Europa, Fachbereich Europa des Deutschen Bundestages, Seite 4 "Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR)" vom 07.07.2016, https://www.bundestag.de/resource/blob/437752/6cb4c1cf5bd8b9146cfcbb24a0e9dce0/pe-6-101-16-pdf-data.pdf). Vereinzelt aufgrund des unklaren Wortlautes des EWRA erhobene Gegenmeinungen (so z. B. Daragan, ZErb 2016, 281, 282) spielen aktuell praktisch keine Rolle mehr, da die politisch Handelnden übereinstimmend von einem Wegfall der EWR-Mitgliedschaft mit dem Austritt aus der EU ausgehen. Zumindest muss man daher wohl von einem einvernehmlichen konkludenten Austritt des VK aus beiden supranationalen Zusammenschlüssen ausgehen (so nun auch Daragan, ZErb 2018, 137, 138). In einem im Vorfeld des Austrittsersuchens von der Pro-EU-Organisation "British Influence" vor dem Londoner High-Court angestrengten Verfahren scheiterten die Kläger aus formalen Gründen mit ihrem Feststellungsbegehren, dass ein EWR-Austritt auf Art. 127 EWRA zu stützen sei und ausdrücklich zu erfolgen habe. Dieses Begehren wurde zum damaligen Zeitpunkt nach Presseberichten vom High Court offenbar als "verfrüht" angesehen (vgl. Bowcroft, The Guardian vom 03.02.2017, https://www.theguardian.com/politics/2017/feb/03/fresh-brexit-legal-challenge-blocked-high-court-article-127). Ein Verbleiben oder ein Wiedereintritt Großbritanniens in dem bzw. in den EWR ist indes eine bereits frühzeitig von der Regierung May verworfene Option gewesen, die bei den Planungen der Johnson-Administration noch weniger eine Rolle spielte.

Es ist bislang nicht geklärt, ob und ggf. inwieweit die hinter diesem Automatismus stehende Systematik, nach der EU-Staaten als EU-Mitgliedstaaten gleichzeitig auch EWR-Mitgliedstaaten sind und folglich ein EU-Austritt grundsätzlich auch zu einem Ausscheiden aus dem EWR führt, die Schlussfolgerung zulässt, dass die Fiktion der Weitergeltung Großbritanniens als EU-Staat für einen im Rahmen eines Austrittsabkommens wirksam vereinbarten Übergangszeitraum gleichzeitig die Fiktion des Fortbestehens der Mitgliedschaft im EWR beinhaltet. Wünschenswert im Sinne erhöhter Rechtssicherheit wäre insoweit eine explizite Regelung.

Diese Frage hat durchaus praktische Bedeutung auch für die Auslegung des nationalen deutschen Rechts, da die nationalen Vorschriften teilweise auf beide Gemeinschaften "gleichberechtigt" abstellen, während an anderer Stelle nur auf die Europäische Union abgestellt wird. Insbesondere die unter 5. angesprochenen "Brexit"-Gesetze stellen durchgehend nur auf den Austritt Großbritanniens aus der EU ab, ohne den EWR dabei zu erwähnen.

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