Liegt kein grenzüberschreitender Sachverhalt vor, der ohne Unterbrechung über den 31.12.2020 hinausgeht, erfolgt – wie gesagt – die Koordinierung der sozialen Sicherheit zwischen dem VK und der EU nicht mehr mittels Übergangsregelungen des Austrittsabkommens, sondern alleine über die Regelungsgen des o. g. Protokolls zum EU-UK TCA.
3.2.1 Sachlicher Geltungsbereich
Das Protokoll zum EU-UK TCA koordiniert im Wesentlichen die nachfolgend genannten leistungsrechtlichen Tatbestände (Art. SSC 3 Abs. 1):
- Leistungen bei Krankheit,
- Leistungen bei Mutterschaft und gleichgestellte Leistungen bei Vaterschaft,
- Leistungen bei Invalidität,
- Leistungen bei Alter,
- Leistungen an Hinterbliebene,
- Leistungen bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten,
- Sterbegeld,
- Leistungen bei Arbeitslosigkeit,
- Vorruhestandsleistungen,
- Familienleistungen.
Im Hinblick auf das deutsche System der sozialen Sicherheit können alle Zweige der deutschen Sozialversicherung (Kranken-, Renten-, Unfall- und Arbeitslosenversicherung) unter diese Leistungsarten gefasst werden. Aber anders als im sachlichen Geltungsbereich der VO (EG) 883/2004 werden nach Art. SSC 3 Abs. 4 Familienleistungen aus der Koordination ausgenommen. Dieses betrifft in Deutschland das steuerliche und sozialrechtliche Kindergeld (§§ 62 ff. EstG, 1 ff. BKGG) als auch das Elterngeld (§§ 1 ff. BEEG).
Darüber hinaus sind nach Art. SSC.3 Abs. 4 Buchst. d Leistungen bei Pflegebedürftigkeit vom sachlichen Geltungsbereich ausgenommen. In Bezug auf Deutschland betrifft dies die soziale und private Pflegepflichtversicherung (SGB XI). Aktuell führt dies dazu, dass bei bestimmten Sachverhalten bei der Bestimmung der anzuwenden Rechtsvorschriften erhebliche Schwierigkeiten bestehen. Es ist aber davon auszugehen, dass das Bundesministerium für Gesundheit in Kürze eine Lösung erarbeiten wird.
3.2.2 Territorialitätsprinzip im Rahmen der europarechtlichen Vorschriften
Durch die Abgrenzungsnormen des Protokolls zum EU-UK TCA wird im Verhältnis zwischen dem VK und der EU eine Mehrfachversicherung in verschiedenen Systemen der sozialen Sicherheit ausgeschlossen (Art. SSC.10 Nr. 1). Es gilt der Grundsatz, dass eine Person nicht zeitgleich zwei oder mehreren Systemen der sozialen Sicherheit angehören darf. Im Protokoll zum EU-UK TCA wird dies in Art. SSC.10 Nr. 3 Buchst. a gem. dem Territorialitätsprinzip definiert. Grundsätzlich unterliegt ein Arbeitnehmer den Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit des Staates, in dessen Gebiet er physisch seine Beschäftigung ausübt. In diesem Zusammenhang ist es unbeachtlich, in welchem Staat sich der Betriebssitz des Arbeitgebers befindet oder in welchem Staat der Arbeitnehmer seinen Wohnsitz hat.
Beispiel
Frau Wojcik erhält von dem deutschen Unternehmen B mit Sitz in Berlin einen unbefristeten Arbeitsvertrag nach deutschem Arbeitsrecht als Vertriebsmitarbeiterin für den ausschließlichen Einsatz in Dover. Frau Wojcik, die die polnische Staatsangehörige besitzt, erhält ihr Entgelt unmittelbar über die Entgeltabrechnung des Unternehmens B auf ein Bankkonto im VK, wo sie auch ihren Wohnsitz (Lebensmittelpunkt) hat.
Lösung
Frau Wojcik unterliegt ab dem 01.01.2021 ausschließlich den britischen Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit, da sie im VK ihre Beschäftigung ausübt. Der Umstand, dass Frau Wojcik den Arbeitsvertrag mit einem deutschen Arbeitgeber schloss, führt zu keiner anderen Beurteilung.
Beispiel
Herr Kohlmann ist deutscher Staatsangehöriger und hat seinen Wohnsitz in Dresden. Er erhält das Angebot, ab dem 01.03.2021 für einen britischen Unterhaltungskonzern mit Sitz in Leeds zu arbeiten. Er erhält einen Arbeitsvertrag mit dem britischen Unternehmen. Die Zahlung des Arbeitsentgeltes erfolgt über die Lohn- und Gehaltsabrechnung im VK. Da Herr Kohlmann als Vertreter des Unternehmens für den deutschen Markt tätig werden soll, wird er seine Beschäftigung von seinem Arbeitszimmer an seinem Wohnort in Dresden ausüben. Es ist nicht vorgesehen, dass er seine Beschäftigung auch im VK ausüben wird. Zum 01.01.2021 lag kein grenzüberschreitender Sachverhalt vor.
Lösung
Die Meldepflichten (DEÜV) und die Verpflichtung zur Zahlung des Gesamtsozialversicherungsbeitrages richten sich nach § 28a SGB IV. Der Gesamtsozialversicherungsbeitrag ist durch den britischen Arbeitgeber an die Einzugsstelle abzuführen. Die Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung sind an die zuständige Berufsgenossenschaft abzugeben, ebenso sind die Meldungen und Beitragsnachweise nach DEÜV abzugeben (Art. SSC.14 Abs. 1). Art. SSC. 14 Abs. 2 sieht in diesen Fall vor, dass der Arbeitnehmer die Pflichten des Arbeitgebers übernehmen kann. In Hinblick auf Deutschland ist aber zu beachten, dass eine solche Befreiung keine haftungsbefreiende Wirkung hat.
3.2.3 Entsandte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
Für den Fall, dass ein Arbeitnehmer für seinen Arbeitgeber eine Beschäftigung im VK ausübt, stellt sich die Frage der anzuwendenden Rechtsvorschriften. Eine strikte Anwendung des zuvor beschriebenen Territorialitätsprinzips würde dazu führen, dass ausschließlich die Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit des Beschäftigungsstaates (also VK...