Art. 4 des Protokolls enthält folgende Aussagen in Bezug auf – insbesondere präferenzielle – Abkommen des VK mit Drittländern:

  • Dieses Protokoll hindert das VK nicht daran, NI in den räumlichen Geltungsbereich etwaiger Übereinkünfte einzubeziehen, die das VK mit Drittländern schließt, sofern diese Übereinkünfte nicht die Anwendung dieses Protokolls berühren.
  • Dieses Protokoll hindert das VK insbesondere nicht daran, Übereinkünfte mit einem Drittland zu schließen, die in NI hergestellten Waren präferenziellen Zugang zu dem Markt des betreffenden Landes zu den gleichen Bedingungen gewähren wie Waren, die in anderen Teilen des VK hergestellt wurden.

Wenn das VK also z. B. – wie die Schweiz – ein Präferenzabkommen mit China abschließen würde, dann könnte für in NI hergestellten Waren ein Präferenznachweis ausgestellt werden und die Zulieferung von Waren aus NI könnte für den präferenziellen Ursprung im VK berücksichtigt werden mit der Folge, dass die Waren in China unter die Präferenzregelung fallen würden.

Bei direkten Einfuhren aus China in NI wäre die Lage komplizierter: Da die EU kein Präferenzabkommen mit China hat, ist davon auszugehen, dass Waren mit präferenziellem Ursprung in China nicht unter die Kriterien fallen, bei denen ausgeschlossen ist, dass sie von NI in die Union gelangen. Folglich müsste der Importeur in NI den Regelzoll der Union (und ggf. noch den in der Union gegenüber China geltenden Antidumpingzoll) zahlen. Kann der Einführer nachweisen, dass die Waren in NI verblieben sind, so kann er vom VK die Erstattung des Unterschiedsbetrages zwischen dem Zoll der EU und dem im VK geltenden Zoll beantragen. Wären die Waren aus China direkt in Großbritannien importiert (und verzollt) und weiter nach NI befördert worden, so würde das Gleiche gelten (vgl. Abschnitt 2.3). Die Geltung von präferenziellen Abkommen der EU in NI wird im Protokoll nicht explizit behandelt, wohl aber in der VO (EU) 2020/2163[29] und einer "Guidance Note" der EU-Kommission.[30]

Unproblematisch sind diejenigen Fälle, in denen die Waren in der EU (z. B. in Irland) unter Anwendung der Präferenzregelung zum zollrechtlich freien Verkehr überlassen werden. Solche Unionswaren können dann ohne zollrechtliche Förmlichkeiten nach NI verbracht werden, da NI so behandelt wird, als ob es Teil des Zollgebiets der Union wäre.

Werden die Waren aus dem Land eines EU-Abkommenspartners (z. B. Japan) direkt nach NI befördert und dort (nach den zollverfahrensrechtlichen Regeln der EU) in den freien Verkehr übergeführt, so darf die Zollpräferenz gem. Art. 6 VO (EU) 2020/2163 in NI nur angewendet werden, wenn das Partnerland Maßnahmen ergriffen (und die EU-Kommission entsprechend unterrichtet) hat, dass es bei der Ausfuhr nach NI die Einhaltung folgender Vorschriften sicherstellt:

  1. die Einhaltung der Präferenzursprungsregeln für die Erzeugnisse;
  2. die Einhaltung der Regeln für die Ausstellung oder Ausfertigung von Ursprungsnachweisen;
  3. die Einhaltung der Regeln für die Überprüfung des Präferenzursprungs von Erzeugnissen;
  4. die Einhaltung der anderen Bestimmungen nach den einschlägigen Präferenzhandelsregelungen.

Die EU-Kommission wird auf ihrer Website das Datum veröffentlichen, ab dem davon ausgegangen wird, dass ein Drittland oder eine Gruppe von Drittländern Maßnahmen zur Gewährleistung der Einhaltung ergriffen haben.

Führt ein präferenzielles Abkommen der EU zu einer niedrigeren (oder keiner) Zollbelastung im Vergleich zum Zolltarif des VK, so empfiehlt es sich, die Waren in der EU in den zollrechtlich freien Verkehr zu überführen und sie von dort aus nach NI zu verbringen. Im umgekehrten Fall ist eine direkte Einfuhr nach NI nach dem Zolltarif (und ggf. der Präferenzregelung) des VK vorteilhafter.

Für Ausfuhren aus NI nach einem Abkommenspartner der EU führt die EU-Kommission in ihrer "Guidance Note" unter 5.3 Folgendes aus (Übersetzung durch den Verfasser):

›Die bilateralen Vereinbarungen im NI-Protokoll zwischen der Union und dem Vereinigten Königreich schaffen keine Rechte und Verpflichtungen für andere Drittländer. Dies bedeutet, dass Nordirland für seine Warenexporte aus der Perspektive bestehender EU-Präferenzabkommen als ein Drittland anzusehen ist. Daraus folgt:

i) Ausführer in Nordirland können nicht registriert oder ermächtigt werden, um Erklärungen zum Ursprung auszustellen für Ausfuhren im Rahmen von EU-Präferenzregelungen,
ii) die Zollbehörden des Vereinigten Königreichs können in Bezug auf Nordirland keine EU-Präferenznachweise ausstellen.‹

Unternehmer in NI können für ihre Ausfuhren also nur die Präferenzabkommen des VK nutzen und sie können auch nicht die von ihnen erzeugten Waren an EU-Hersteller mit einer Lieferantenerklärung liefern, die zur Erlangung des EU-Präferenzursprungs beiträgt.

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