Das Wichtigste in Kürze:

1. Gem. § 74 JGG kann im Verfahren gegen einen Jugendlichen davon abgesehen werden, dem Angeklagten Kosten und Auslagen aufzuerlegen.
2. Die Kosten des Verfahrens umfassen jedoch nicht die notwendigen Auslagen des Jugendlichen.
3. Gegen die Kostengrundentscheidung und gegen die Entscheidung über die notwendigen Auslagen ist sofortige Beschwerde zulässig. Dabei ist die instanzielle Rechtsmittelbeschränkung des § 55 Abs. 2 JGG zu beachten.
 

Rdn 798

 

Literaturhinweise:

Baumhöfener, Jugendstrafverteidiger – Eine Untersuchung im Hinblick auf § 74 JGG, ZJJ 2007, 267

Zieger, Kosten der Verteidigung in Jugendstrafverfahren – Der oft vergessene § 74 JGG, StV 1990, 282

s.a. die Hinw. bei → JGG-Besonderheiten, Allgemeines, Teil A Rdn 620.

 

Rdn 799

1.a) Gem. § 74 JGG kann im Verfahren gegen einen Jugendlichen davon abgesehen werden, dem Angeklagten Kosten und Auslagen aufzuerlegen. Sinn des § 74 JGG ist es, den jungen Angeklagten, der meist aus einer sozial benachteiligten Familie kommt, finanziell zu entlasten und zu verhindern, dass nach Erziehungsmaßregeln, Zuchtmittel und Jugendstrafe noch der Vollstreckungsbeamte kommt, um die nicht unerheblichen Verfahrenskosten einzutreiben (OLG Köln OLGSt JGG § 74 Nr. 3; LG Saarbrücken ZJJ 2010, 428; Zieger StV 1990, 282).

 

Rdn 800

§ 74 JGG ist auch anwendbar im Ordnungswidrigkeitenverfahren (§ 105 OWiG; s.a. → JGG-Besonderheiten, Bußgeldverfahren, Teil A Rdn 718 ff.), Vollstreckungsverfahren (s. dazu Burhoff/Kotz/Schimmel, Nachsorge, Teil B Rn 724 ff.) und im Vollzugsverfahren (s. dazu Burhoff/Kotz/Schimmel, Nachsorge, Teil C Rn 734 ff.).

 

Rdn 801

b) Die Möglichkeit, von der Auferlegung abzusehen, stellt eine Ausnahme zur Kostentragungspflicht bei Verurteilungen gem. § 465 dar. Die übrigen Regelungen aus dem allgemeinen Verfahrensrecht der StPO über die Verfahrenskosten (§§ 464 – 473a) gelten gem. § 2 Abs. 2 JGG hingegen auch im Jugendstrafverfahren.

 

Rdn 802

c) Die Vorschrift ist anwendbar auf Jugendliche, auch wenn sie von einem allgemeinen Gericht verurteilt werden (§ 104 Abs. 1 Nr. 13 JGG), auf Heranwachsende dann, wenn materielles Jugendstrafrecht auf sie angewendet wird (§ 109 Abs. 2 S. 1 JGG), jedoch nicht bei Entscheidungen über die Auslagen des Verletzten gem. § 472a (§ 109 Abs. 2 S. 4 JGG).

 

Rdn 803

2. Die Kosten des Verfahrens umfassen nicht die notwendigen Auslagen des Angeklagten (BGH NStZ-RR 2006, 224; OLG Brandenburg NStZ-RR 2012, 192; a.A. Baumhöfener ZJJ 2007, 267). Diese bestehen i.d.R. vorwiegend aus den Gebühren und Auslagen des Wahlverteidigers (→ Allgemeine Gebührenfragen, Allgemeines, Teil D Rdn 1; → JGG-Verfahren, gebührenrechtliche Besonderheiten, Teil D Rdn 241). Umstritten ist, ob das Gericht aus den gleichen Gründen wie bei den Verfahrenskosten (s. Rdn 804) davon absehen kann, die dem nach JGG Abgeurteilten seine notwendigen Auslagen (§ 464a Abs. 2) aufzuerlegen (verneinend die h.M.: BGH StV 1989, 309; BGH NStZ-RR 2006, 224; a.A. LG Osnabrück JurBüro 1990, 1031, LG Münster NStZ 1983, 138).

 

Rdn 804

Gebühren und Auslagen des Pflichtverteidigers zählen hingegen als gerichtliche Auslagen (Nr. 9007 KVGKG) zu den Verfahrenskosten (Burhoff/Volpert, RVG, Gerichtskosten, Teil A Rn 771; Meyer-Goßner/Schmitt § 464a Rn 1). Sie sind demnach von der Entscheidung nach § 74 JGG umfasst.

 

Rdn 805

§ 74 JGG schließt es nicht aus, dem nach JGG Abgeurteilten die notwendigen Auslagen des Nebenklägers (zur Nebenklage in JGG-Verfahren allgemein → JGG-Besonderheiten, Allgemeines, Teil A Rdn 635 f.) aufzuerlegen, wenn insbesondere der Erziehungsgedanke dafür spricht (OLG Köln OLGSt JGG § 74 Nr. 3).

 

Rdn 806

3.a) Gegen die Kostengrundentscheidung (§ 464 Abs. 1) und gegen die Entscheidung über die notwendigen Auslagen (§ 464 Abs. 2) ist sofortige Beschwerde zulässig (§ 464 Abs. 3; → Beschwerde, sofortige Beschwerde, Teil A Rdn 550 ff.). Zur Anfechtung des Kostenfestsetzungsbeschlusses → Kostenfestsetzungsbeschluss, Beschwerde, Teil D Rdn 267.

 

Rdn 807

b) Das Rechtsmittel ist dann unzulässig, wenn die Anfechtung der Hauptentscheidung nicht statthaft ist (§ 464 Abs. 3, S. 1 Hs. 2). Nach h.M. ist ein solcher Fall (auch) gegeben, wenn aufgrund der instanziellen Rechtsmittelbeschränkung nach § 55 Abs. 2 JGG (→ JGG-Besonderheiten, Rechtsmittelbeschränkungen, Teil A Rdn 820 ff.) gegen ein in der Hauptsache entscheidendes Berufungsurteil kein Rechtsmittel mehr gegeben ist (OLG Dresden NStZ-RR 2000, 224; OLG Hamm NStZ-RR 2014, 96 mit abl. Anm. Eisenberg NStZ 2014, 410; OLG Koblenz, Beschl. v. 2.11.2015 – 2 Ws 610/15; OLG Oldenburg ZJJ 2006, 202; OLG Schleswig SchlHA 2003, 206; a.A. Ostendorf, § 74 Rn 14, der sich auf den Wortlaut beruft). Die Beschränkung gilt auch bei Rücknahme der Berufung (OLG Köln AGS 2008, 199; Brunner/Dölling, § 55 Rn 14; D/S/S-Schatz, § 55 Rn 50; HK-JGG/Laue, § 55 Rn 42; a.A. Eisenberg, § 55 Rn 72; Ostendorf, § 55 Rn 72) oder Revision. Trifft das Rechtsmittelgericht nach Rücknahme des Rechtsmittels eigenständig eine den Rechtsmittelführer belastende Kostene...

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