Detlef Burhoff, Dr. iur. Thorsten Junker
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
Die Vorschriften von StPO und JGG sind stets so auszulegen, dass die Grundrechte des Verfahrensbeteiligten gewahrt werden. |
2. |
Die StPO hat von Anfang an einer Auslegung im Lichte des GG bedurft. Diese ist vom BVerfG vorgenommen worden. Dies zeigt die Übersicht erfolgreicher Verfassungsbeschwerden (Stand: März 2016). |
Rdn 1403
Literaturhinweise:
s. die Hinw. bei → Rechtsmittel/Rechtsbehelfe, Allgemeines, Teil A Rdn 1290, m.w.N., bei → Verfassungsbeschwerde, Allgemeines, Teil C Rdn 730, und bei → Verfassungsbeschwerde, Auslegung der StPO im Lichte des GG, Teil C Rdn 767.
Rdn 1404
1.a) Die Vorschriften von StPO und JGG sind stets so auszulegen, dass die Grundrechte des Verfahrensbeteiligten gewahrt werden. Nach der Rechtsprechung des BVerfG müssen die Fachgerichte der normativen Geltung der Grundrechte tatsächliche Wirksamkeit verschaffen (vgl. BVerfGE 35, 263, 274; u.a. a. BVerfG, Beschl. v. 9.8.1990 – 2 BvR 1128/88). Sie haben nicht nur die negative Verpflichtung, mit der Verfassung nicht in Einklang stehende Eingriffe in grundrechtlich geschützte Bereiche zu unterlassen, sondern auch die positive Verpflichtung, die Grundrechte durchzusetzen. Neben den im Katalog der Art. 1 – 19 GG verankerten Grund- und Menschenrechten gilt dies insbesondere für das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) und für die sog. Verfahrensgrundrechte der Art. 101, 103 und 104 GG (→ Verfassungsbeschwerde, Allgemeines, Teil C Rdn 729; → Verfassungsbeschwerde, Auslegung der StPO im Lichte des GG, Teil C Rdn 767).
☆ Der für das Strafverfahren immer mehr an Bedeutung gewinnende Grundsatz des fairen Verfahrens (Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK) und die Unschuldsvermutung (Art. 6 Abs. 2 EMRK) werden vom BVerfG jeweils in Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG, also als Rechte mit Verfassungsrang, angesiedelt (→ Verfassungsbeschwerde, Begründung, faires Verfahren , Teil C Rdn 863 ; → Verfassungsbeschwerde, Begründung, Unschuldsvermutung , Teil C Rdn 1079 ).Grundsatz des fairen Verfahrens (Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK) und die Unschuldsvermutung (Art. 6 Abs. 2 EMRK) werden vom BVerfG jeweils in Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG, also als Rechte mit Verfassungsrang, angesiedelt (→ Verfassungsbeschwerde, Begründung, faires Verfahren, Teil C Rdn 863; → Verfassungsbeschwerde, Begründung, Unschuldsvermutung, Teil C Rdn 1079).
Rdn 1405
b) Auf dieser Grundlage hat in der Vergangenheit die Rspr. des BVerfG in einigen Teilbereichen zu einem Umdenken in der instanzgerichtlichen Rspr. geführt. Teilweise sind darauf sogar Gesetzesänderungen zurückzuführen. Hinzuweisen ist in dem Zusammenhang z.B. auf den Wandel in der Auffassung (in der Rspr. der OLG), wie lange U-Haft dauern darf, da bis zu den maßgeblichen Entscheidungen des BVerfG (vgl. die Nachw. bei Rdn 1420) die Einstellung vorgeherrscht hatte, Art. 2 Abs. 2 GG sei mehr oder weniger eine kosmetische Vorschrift, die gegenüber der Frage, wann sich die Justizbehörden aus ihrer Sicht mit einer Strafsache beschäftigen können und müssen, zurückzutreten habe (vgl. dazu a. Burhoff, EV, Rn 2170 ff. m.w.N.). In ähnlicher Weise hat das BVerfG auch dem Schutz der "eigenen vier Wände" im Zusammenhang mit Durchsuchungen zu seinem Recht verholfen (vgl. die Nachw. bei Rdn 1417; Burhoff, EV, Rn 1360 ff.; → Verfassungsbeschwerde, Begründung, Hausdurchsuchung, Teil C Rdn 903). Und: Erst aufgrund der Plenumsentscheidung des BVerfG (BVerfG NJW 2003, 1924) sah sich der Gesetzgeber veranlasst, mit dem Erlass des Anhörungsrügegesetzes die Nachholung des rechtlichen Gehörs auch verfahrensrechtlich zu ermöglichen (dazu: → Anhörungsrügen, Allgemeines, Teil B Rdn 1 m.w.N.).
Rdn 1406
2. Obwohl die Anzahl erfolgreicher Verfassungsbeschwerden – bezogen auf sämtliche Rechtsgebiete – in den letzten Jahren nur noch unter 2 % liegt (http://www.bundesverfassungsgericht.de/organisation/gb2011/A-IV-2.html), ist – wie die nachfolgende Übersicht erfolgreicher Verfassungsbeschwerde zeigt – festzustellen, dass die StPO von Anfang an einer Auslegung im Lichte des GG bedurft, diese zum Teil aber auch erfahren hat.
☆ Die Gliederung in der Übersicht folgt der Paragrafenfolge des jeweiligen Gesetzes. Sie hat den Stand von März 2016 . Die Übersicht erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.März 2016. Die Übersicht erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Rdn 1407
Sachliche Zuständigkeit der Gerichte (§§ 1 – 6)
StPO |
GG |
|
BVerfG |
§ 2 |
Art. 2 Abs. 1, 20 Abs. 3 |
Verfahrensverbindung |
StV 2002, 578 |
Rdn 1408
Ausschließung und Ablehnung von Gerichtspersonen (§§ 22 – 31)
StPO |
GG |
|
BVerfG |
§ 22 |
Art. 101 Abs. 1 |
Richterausschluss (Ehefrau eines beleidigten Richters) |
NJW 1992, 2471 |
§ 23 Abs. 2 |
|
Richterausschluss (vormaliger Revisionsrichter im Wiederaufnahmeverfahren) |
BVerfGE 31, 295; NJW 1971, 1033 |
§ 26a |
Art. 101 Abs. 1 + Art. 3 Abs. 1 (Willkürverbot) |
Ablehnungsgesuch, Verwerfung |
NJW 2007, 1670; |
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BVerfGK 8, 376; NJW 2006, 3129 |
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Mitwirkung des abgelehnten Richters |
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NStZ-RR 2007, 275; NVwZ 2005, 1304; |