Detlef Burhoff, Dr. iur. Thorsten Junker
Rdn 2293
Literaturhinweise:
s. die Hinw. bei → Revision, Allgemeines, Teil A Rdn 2006
und bei → Revision, Verfahrensrüge, Allgemeines, Teil A Rdn 2307.
Rdn 2294
1. Hat der Verteidiger bzw. der Angeklagte einen Richter oder Schöffen in der HV erfolgreich wegen Besorgnis der Befangenheit (§§ 24, 31 Abs. 1) abgelehnt oder ist ein entsprechendes Ablehnungsgesuch zu Unrecht verworfen worden, liegt ein absoluter Revisionsgrund gem. §§ 24, 338 Nr. 3 vor. Dieser kann in der Revision nur mit einer Verfahrensrüge geltend gemacht werden. Zu beachten ist, dass ein erkennender Richter, d.h. ein nach Eröffnung des Hauptverfahrens tätiger Richter, abgelehnt worden sein muss (BGHSt 31, 15, 16; zum Ablehnungsverfahren s. Burhoff, EV, Rn 1 ff. und Burhoff, HV, Rn 8 ff., jew. m.w.N.).
Rdn 2295
Zu Unrecht verworfen im Sinne des § 338 Nr. 3 ist das Befangenheitsgesuch, wenn es
▪ |
nach Beurteilung des Revisionsgerichts sachlich begründet war oder |
▪ |
das Tatgericht § 26a unzutreffend herangezogen und den Befangenheitsantrag rechtsfehlerhaft als unzulässig verworfen hat. Das gilt nach Entscheidungen des BVerfG selbst dann, wenn sich der Befangenheitsantrag in der Sache zwar als unbegründet erweist, aber der Tatrichter den auf bloße Formalentscheidungen und die Missbrauchsabwehr gerichteten Rahmen des § 26a willkürlich überschritten hat (BVerfG NJW 2005, 3410; 2006, 3129; NStZ-RR 2007, 275). |
Rdn 2296
2. Will der Betroffene rügen, dass der oder die Tatrichter trotz eines Ablehnungsantrags zu Unrecht in der Sache entschieden haben, sind gem. § 344 Abs. 2 alle mit der Ablehnung in Zusammenhang stehenden Tatsachen im Revisionsbegründungsschriftsatz mitzuteilen (anschaulich z.B. BGH, Beschl. v. 7.2.2012 – 5 StR 432/11). Der gem. § 344 Abs. 2 notwendige Rügeinhalt einer auf § 338 Nr. 1 gestützten Revision lässt sich feststellen anhand folgender
Rdn 2297
▪ |
Der Vortrag, dass in der HV ein zur Urteilsfindung berufener Richter oder Schöffe wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt worden ist und dessen genaue namentliche Bezeichnung, |
▪ |
der vollständige Sachverhalt, aus dem die Besorgnis der Befangenheit abgeleitet worden ist, also insbesondere das Verhalten des abgelehnten Richters und der Anlass für sein Verhalten; auch eigenes Verhalten, das dem Ablehnungsantrag und damit der Revisionsrüge den Boden entziehen könnte, muss der Revisionsführer mitteilen (BGH StraFo 2011, 312), |
▪ |
die vollständige Mitteilung des Ablehnungsantrags im Wortlaut und der Zeitpunkt seiner Anbringung (BGHSt 21, 334; BGH StV 1996, 2; NStZ-RR 2002, 134; 2008, 283), |
▪ |
die Schilderung des weiteren Verfahrensablaufs und wörtliche Mitteilung der dienstlichen Äußerungen der ablehnten Richter (BGH StV 1996, 2) oder sonstiger Verfahrensbeteiligter (z.B. des Sitzungsvertreters der StA), sowie die Erwiderungen auf dienstliche Äußerungen, |
▪ |
dienstliche Äußerungen und Erwiderungen hierauf, sofern diese vorliegen, |
▪ |
die vollständige Entscheidung des Gerichts über den Ablehnungsantrag im Wortlaut, |
▪ |
der Vortrag, dass der im Ablehnungsantrag namentlich bezeichnete Richter an der Urteilsfindung mitgewirkt hat, |
▪ |
zusätzlich alle Tatsachen, aus denen sich die Zulässigkeit und Begründetheit des Ablehnungsantrags ergibt, insbesondere die Mitteilung des Sachverhalts, aus dem sich ergibt, dass der Ablehnungsantrag rechtzeitig im Sinne des § 25 gestellt worden ist (vgl. hierzu BGH StV 2007, 118), sofern sich diese Umstände nicht bereits vollständig aus dem Ablehnungsantrag selbst ergeben. |
▪ |
Als Negativtatsache muss mitgeteilt werden, dass es nach der Zurückweisung des Ablehnungsantrags nicht zu einer Urteilsabsprache gem. § 257c unter Mitwirkung des Angeklagten gekommen ist bzw. im Falle einer Verständigung die zugesagte Strafobergrenze nicht eingehalten wurde, denn nach Auffassung des 1. Strafsenats des BGH stellt es ein missbräuchliches Prozessverhalten dar, wenn der Angeklagte nach Stellung eines Befangenheitsantrags an einer Urteilsabsprache mitwirkt und dann später gleichwohl die Revisionsrüge nach § 338 Nr. 3 erhebt (BGH NStZ 2009, 159 m. abl. Anm. Beulke/Witzigmann StV 2009, 394). |
☆ Daraus folgt , dass zur Fragefolgt, dass zur Frage
▪ |
der Rechtzeitigkeit gem. § 25 Abs. 1 bei vor der HV bekannt gewordenen Ablehnungsgründen bzw. |
▪ |
der Unverzüglichkeit gem. § 25 Abs. 2 bei später bekannt gewordenen Ablehnungsgründen |
die zeitlichen Abläufe, der Zeitpunkt der Kenntnis des Angeklagten von den Ablehnungsgründen sowie die unverzügliche Anbringung des Ablehnungsgesuchs (ohne schuldhaftes Zögern) im Einzelnen darzustellen sind.
Rdn 2298
3. Sind alle notwendigen Tatsachen vorgetragen, trifft das Revisionsgericht eine eigene Entscheidung über die Zulässigkeit und Begründetheit des Ablehnungsantrags, ist also nicht an die Bewertung des Tatgerichts gebunden. Ob die im Ablehnungsantrag genannten Umstände vorgelegen haben, kann das Revisionsgericht im Freibeweisverfahren aufklären (BGHSt 1, 34). Hierbei ist zu beachten, dass Gegenstand der revisionsgerichtlichen Entscheidung nur die Anlehnung...