Das Wichtigste in Kürze:

1. § 359 Nr. 6 regelt die Wiederaufnahme konventionswidriger Strafurteile nach einer Entscheidung des EGMR, durch die die Verletzung der EMRK festgestellt wurde.
2. Im Verfahren entfällt regelmäßig die Beweisaufnahme, sodass Aditions- und Probationsentscheidung zusammenfallen. Auch wird häufig eine neue HV entbehrlich sein, sodass gem. § 371 sogleich entschieden werden kann.
3. Der Antrag muss die EGMR-Entscheidung bezeichnen, durch die der EMRK-Verstoß festgestellt wurde. Es muss auch dargelegt werden, weshalb das angegriffene Urteil auf dem Verstoß beruht; eine gesetzliche Vermutung existiert nicht. Als Beweis dient letztlich nur die Entscheidung des EGMR.
 

Rdn 1131

 

Literaturhinweise:

Czerner, Inter partes- versus erga omnes-Wirkung der EGMR-Judikate in den Konventionsstaaten gemäß Art. 46 EMRK – Eine Problemanalyse auch aus strafverfahrensrechtlicher Perspektive, AVR 46 (2008), 345

Kleine-Cosack, Verfassungsbeschwerden und Menschenrechtsbeschwerde, 3. Aufl., 2013

Jahn, Innerstaatliche Wiederaufnahme und EMRK, JuS 2013, 273

Jokisch, Gemeinschaftsrecht und Strafverfahren, 2000

Maur, Verletzung der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten als neuer Wiederaufnahmegrund im Strafverfahren, NJW 2000, 338

Sauer, Völkerrechtliche Folgenbeseitigung im Strafverfahren, JZ 2011, 23 (zugleich Besprechung von EGMR, Urt. v. 1.6.2010 – Gaefgen/Deutschland)

Schmahl/Köber, Durchbrechung der Rechtskraft nationaler Gerichtsentscheidungen zugunsten der Effektivität des Unionsrechts?, EuZW 2010, 927

Selbmann, Anpassungsbedarf der Regelungen zur Wiederaufnahme des Verfahrens an die Vorgaben der EEMRK, ZRP 2006, 124

Weigend, Die Europäische Menschenrechtskonvention als deutsches Recht – Kollisionen und ihre Lösung, StV 2000, 384

s. die Hinw. bei → Wiederaufnahme, Allgemeines, Teil B Rdn 1054.

 

Rdn 1132

1.a) § 359 Nr. 6 wurde erst im Jahr 1998 (BGBl I, S. 1802) in die StPO aufgenommen. Zuvor war eine Wiederaufnahme weder über eine analoge Anwendung des § 359 Nr. 5 noch über eine Analogie zu § 79 BVerfGG möglich (vgl. noch BVerfG NJW 1986, 1425, 1426; OLG Stuttgart MDR 1985, 605). Wie § 79 BVerfGG ist § 359 Nr. 6 strukturell ein Fremdkörper im Wiederaufnahmerecht, denn mit diesem Wiederaufnahmegrund werden – anders als bei den übrigen Wiederaufnahmegründen des § 359 – nachträglich Rechtsfehler und nicht fehlerhafte Sachverhaltsfeststellungen korrigiert (Marxen/Tiemann, Rn 276).

 

Rdn 1133

b) § 359 Nr. 6 kommt nur zur Anwendung, wenn Verletzungen der EMRK, die unmittelbar geltendes Recht im Rang eines einfachen Bundesgesetzes ist (Art. II des Zustimmungsgesetzes vom 7.8.1952, BGBl II, S. 685, 953) und daher in jedem Strafverfahren beachtet werden muss, nicht – was erforderlich wäre (!) – schon im Instanzenzug korrigiert wurden (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, § 359 Rn 52 unter Verweis auf BGH NStZ-RR 1999, 176; Marxen/Tiemann, Rn 277).

 

☆ Die von der EMRK eingeräumte Möglichkeit der Individualbeschwerde (Art. 34 EMRK) bietet insoweit keinen ausreichenden Rechtsschutz , da die daraufhin ergehenden Entscheidungen sich auf die Feststellung beschränken, dass eine bestimmte Entscheidung konventionswidrig war. Soweit nicht nach Art. 41 EMRK eine Entschädigung zugesprochen wird, haben Entscheidungen des EGMR keine Gestaltungswirkung ( Marxen/Tiemann , Rn 277; allgemein zur Menschenrechtsbeschwerde →  Menschenrechtsbeschwerde, Allgemeines , Teil C Rdn  1 , m.w.N.).Individualbeschwerde (Art. 34 EMRK) bietet insoweit keinen ausreichenden Rechtsschutz, da die daraufhin ergehenden Entscheidungen sich auf die Feststellung beschränken, dass eine bestimmte Entscheidung konventionswidrig war. Soweit nicht nach Art. 41 EMRK eine Entschädigung zugesprochen wird, haben Entscheidungen des EGMR keine Gestaltungswirkung (Marxen/Tiemann, Rn 277; allgemein zur Menschenrechtsbeschwerde → Menschenrechtsbeschwerde, Allgemeines, Teil C Rdn 1, m.w.N.).

 

Rdn 1134

I.Ü. gelten die allgemeinen Grundsätze: Auch bei einer Wiederaufnahme nach § 359 Nr. 6 muss der Antragsteller eines der gesetzlich eng vorgeschriebenen Wiederaufnahmeziele verfolgen. Die Wiederaufnahme des Strafverfahrens zur nachträglichen Anwendung der sog. Vollstreckungslösung beispielsweise ist daher auch im Fall des § 359 Nr. 6 nicht zulässig, weil die Nachholung einer Entschädigungs- oder Kompensationsentscheidung nicht zu den zulässigen Zielen eines Wiederaufnahmeverfahrens gehört (OLG Celle NStZ-RR 2010, 251).

 

☆ Auch hier tritt mit Zulässigkeit des Antrags nicht automatisch eine Vollstreckungshemmung ein (BVerfG NJW 2000, 1480; vgl. auch →  Wiederaufnahme, Antragsgründe, BVerfG-Entscheidung , Teil B Rdn  1115 , 1118 , m.w.N.).nicht automatisch eine Vollstreckungshemmung ein (BVerfG NJW 2000, 1480; vgl. auch → Wiederaufnahme, Antragsgründe, BVerfG-Entscheidung, Teil B Rdn 1115, 1118, m.w.N.).

 

Rdn 1135

2. Die Besonderheiten im Verfahren nach § 359 Nr. 6 führen dazu, dass regelmäßig die Beweisaufnahme gem. § 369 entfällt. Zulässigkeits- und Begründetheitsentsc...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge