Daniel Hagmann, Monika Oerder
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
Das BVerfG ist bei den Zulässigkeitsanforderungen sehr streng. |
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Beschwerdeführer kann nach § 90 Abs. 1 BVerfGG jedermann sein, der in eigenen Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten unmittelbar, selbst und gegenwärtig verletzt ist. Eine Popularklage ist ausgeschlossen. |
3. |
Das verletzte Grundrecht ist jedenfalls der Sache nach zu bezeichnen. Ein Antrag muss in der Verfassungsbeschwerde nicht ausdrücklich gestellt werden. |
4. |
Besondere Probleme können sich im Bereich der Frist und der Form der Verfassungsbeschwerde stellen. |
Rdn 1145
Literaturhinweise:
s. die Hinw. bei → Verfassungsbeschwerde, Allgemeines, Teil C Rdn 730.
Rdn 1146
1. Die vom BVerfG aufgestellten Zulässigkeitsanforderungen an die Verfassungsbeschwerde sind teils überstreng (EGMR StV 2005, 475). Z.T. wird diese Strenge (auch) zur eigenen Arbeitsentlastung des BVerfG eingesetzt. Die Strenge besteht insbesondere in den Bereichen
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des Beschwerdegegenstands (s. dazu → Verfassungsbeschwerde, Zulässigkeit, Beschwerdegegenstand, Teil C Rdn 1155), |
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der Rechtswegerschöpfung (s. dazu → Verfassungsbeschwerde, Zulässigkeit, Rechtswegerschöpfung, Teil C Rdn 1181), |
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der formellen Subsidiarität (s. dazu → Verfassungsbeschwerde, Zulässigkeit, formelle Subsidiarität, Teil C Rdn 1170), |
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der materiellen Subsidiarität (s. dazu → Verfassungsbeschwerde, Zulässigkeit, materielle Subsidiarität, Teil C Rdn 1176), |
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den Substantiierungsanforderungen (s. dazu → Verfassungsbeschwerde, Zulässigkeit, Substantiierungsanforderungen, Teil C Rdn 1192) und |
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der Verletzung des sog. spezifischen Verfassungsrechts (s. dazu → Verfassungsbeschwerde, Begründung, Prüfungsumfang, Teil C Rdn 980). |
Rdn 1147
Eine Zusammenstellung der gesamten Zulässigkeitsanforderungen findet sich in den Werken von Zuck (Das Recht der Verfassungsbeschwerde), von Kleine-Cosack (Verfassungsbeschwerden und Menschenrechtsbeschwerden), von Schlaich/Korioth (Das Bundesverfassungsgericht), Benda/Klein (Verfassungsprozessrecht) oder von Jahn/Krehl/Löffelmann/Güntge (Die Verfassungsbeschwerde in Strafsachen), auf die hiermit verwiesen wird. Daher in aller Kürze:
Rdn 1148
2.a) Beschwerdeführer kann nach § 90 Abs. 1 BVerfGG jedermann sein, der Träger des in Frage kommenden Grundrechts sein kann (Parteifähigkeit, Antragsberechtigung, Beschwerdebefugnis; Benda/Klein, Rn 506 ff.).
Rdn 1149
b) Auch die Prozessfähigkeit ist i.d.R. unproblematisch, obgleich das BVerfGG hierzu keine Regelung trifft. Diese ist in Analogie zum sonstigen Prozessrecht zu beantworten (BVerfGE 72, 122, 132). Ggf. ist eine Vertretung durch den gesetzlichen Vertreter notwendig, im Fall der Interessenkollision die Bestellung eines Prozesspflegers (MAH-Eschelbach, § 31 Rn 38 f.).
Rdn 1150
c) Beschwerdebefugt ist nur derjenige, der in eigenen Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten (s. → Verfassungsbeschwerde, Begründung, Prüfungsmaßstab, Teil C Rdn 969) unmittelbar, selbst und gegenwärtig verletzt ist, d.h. diese Verletzung im Rahmen der Zulässigkeitsstation substantiiert (§§ 23 Abs. 1 S. 2, 92 BVerfGG) behauptet. D.h., es muss mit "hinreichender Wahrscheinlichkeit" möglich sein, dass eine Grundrechtsverletzung vorliegt (BVerfGE 64, 367, 375).
☆ Ob diese Verletzung tatsächlich gegeben ist, ist eine Frage der Begründetheit .tatsächlich gegeben ist, ist eine Frage der Begründetheit.
Rdn 1151
Die Anfechtung eines Urteils mit der Verfassungsbeschwerde durch eine an dem zum Urteil führenden Verfahren nicht beteiligte Person ist nicht unter allen Umständen ausgeschlossen. Entscheidend ist, ob der Beschwerdeführer geltend machen kann, durch die Gerichtsentscheidung unmittelbar rechtlich und nicht nur mittelbar faktisch betroffen und damit beschwert zu sein (BVerfG, Beschl. v. 22.11.2021 – 2 BvR 1872/21, NStZ-RR 2022, 19 f.).
Rdn 1152
Der Beschwerdeführer muss durch die angegriffene Maßnahme unmittelbar, gegenwärtig und selbst in seinen Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten betroffen sein. Dieses Kriterium wurde für die Rechtssatzverfassungsbeschwerde entwickelt (BVerfGE 1, 97, 101), dann aber auf die Urteilsverfassungsbeschwerde erweitert (BVerfGE 53, 30, 48).
Rdn 1153
3. Das verletzte Grundrecht ist jedenfalls der Sache nach zu bezeichnen, ebenso wie die angegriffene Maßnahme. I.d.R. wird der Beschwerdeführer die Aufhebung der ihn belastenden Maßnahme begehren, wobei unschädlich ist, wenn ein solcher Antrag nicht ausdrücklich gestellt ist (→ Verfassungsbeschwerde, Streitgegenstand, Teil C Rdn 1135). Ein Antrag ist vom Gesetz nicht vorgeschrieben (§ 92 BVerfGG). Es genügt, dass das mit der Verfassungsbeschwerde verfolgte Ziel des Beschwerdeführers aus dem Zusammenhang seines Vorbringens ersichtlich ist (BVerfGE 7, 111, 114 f.).
Rdn 1154
4. Besondere Probleme können sich im Bereich der Frist (→ Verfassungsbeschwerde, Frist, Teil C Rdn 1126) und der Form (→ Verfassungsbeschwerde, Form, Teil C Rdn 1122) der Verfassungsbeschwerde stellen, ebenso wie bei der Erledigung der angegriffenen Maßnahme (Lenz/Hansel, § 90 Rn ...