Dr. Andreas Geipel, Daniel Hagmann
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
Natürliche und juristische Personen müssen als sog. nicht privilegierte Kläger eine Klagebefugnis aufweisen. |
2. |
Der Kläger muss von der Maßnahme individuelle und unmittelbar betroffen sein. |
Rdn 559
Literaturhinweise:
Frenz/Distelrath, Klagegegenstand und Klagebefugnis von Individualnichtigkeitsklagen nach Art. 263 IV AEUV, NVwZ 2010, 162
Kokott/Dervisopoulos/Henze, Aktuelle Fragen des effektiven Rechtsschutzes durch die Gemeinschaftsgerichte, EuGRZ 2008, 10
Lübbing, Individuelle Betroffenheit durch EG-Verordnungen, EuZW 2002, 415
s.a. die Hinw. bei → Nichtigkeitsklage, Allgemeines, Teil C Rdn 458.
Rdn 560
1. Natürliche und juristische Personen müssen als sog. nicht privilegierte Kläger (→ Nichtigkeitsklage, Zulässigkeit, Teil C Rdn 714) eine Klagebefugnis aufweisen, die ihren Ausdruck im Bezug des Klägers zum angegriffenen Rechtsakt findet.
☆ Bei der Klagebefugnis handelt es sich um eine unverzichtbare Prozessvoraussetzung , deren Vorliegen der EuGH jederzeit prüfen kann (→ Nichtigkeitsklage, Zulässigkeit , Teil C Rdn 726 ).unverzichtbare Prozessvoraussetzung, deren Vorliegen der EuGH jederzeit prüfen kann (→ Nichtigkeitsklage, Zulässigkeit, Teil C Rdn 726).
Rdn 561
Die Klagebefugnis setzt voraus, dass der anzufechtende Rechtsakt direkt an den Kläger gerichtet ist oder ihn unmittelbar und individuell betrifft. In Form eines Rechtsakts mit Verordnungscharakter, der keine Durchführungsmaßnahme nach sich ziehen darf, muss der Kläger nur unmittelbar nicht jedoch individuell betroffen sein. Die Klagebefugnis hinsichtlich direkt an den Kläger gerichteter Beschlüsse (Art. 288 AEUV) ist unproblematisch gegeben (EuGH, Urt. v. 11.5.1989 – C-193 u.a./87 [Maurissen u.a./Rechnungshof Nr. 19], Slg. 1989, S. 1045). Sie muss nicht weiter begründet werden (Streinz/Ehricke, Art. 263 AEUV Rn 57).
Rdn 562
2.a) Das Tatbestandsmerkmal der Betroffenheit dient dem Ausschluss der Popularklage (Streinz/Ehricke, Art. 263 AEUV Rn 58 m.w.N.). Es ist weit auszulegen und umfasst jede Verletzung rechtlich relevanter Interessen des Klägers (Streinz/Ehricke, Art. 263 AEUV Rn 58 m.w.N.). Der Kläger muss ein Interesse an der Aufhebung des angefochtenen Rechtsakts haben und dies darlegen (Streinz/Ehricke, Art. 263 AEUV Rn 58 m.w.N.). Die verbindlichen Rechtswirkungen der angegriffenen Handlung müssen die Interessen des Klägers durch eine qualifizierte Änderung seiner Rechtsstellung beeinträchtigen (EuGH, Urt. v. 13.10.2011 – C-463/10 P und C-475/10 P [Deutsche Post AG und Bundesrepublik Deutschland/Europäische Kommission Rn 37] m.w.N). Inwieweit dies der Fall ist, beurteilt sich nach der unmittelbaren (vgl. Rdn 563 ff.) und individuellen Betroffenheit (vgl. Rdn 566 ff.; Streinz/Ehricke, Art. 263 AEUV Rn 58).
Rdn 563
b)aa) Unmittelbar betroffen ist der Kläger einer Nichtigkeitsklage, wenn der angefochtene Rechtsakt geeignet ist, die Rechtsstellung des Klägers zu beeinträchtigen, ohne dass es hierzu eines weiteren Vollzugsakts durch nationale Behörden bedarf (EuGH, Urt. v. 10.9.2009 C-445/07 P und C-455/07 P [Kommission/Ente per le Ville Vesuviane und Ente per le Ville Vesuviane/Kommission Nr. 45] m.w.N.). Eine unmittelbare Betroffenheit liegt danach vor, wenn ein Unionsakt direkt gegenüber dem Einzelnen wirkt und den Vorgang umfassend regelt (EuGH, Urt. v. 29.10.19080 – C-138/79 [SA Roquette Frères/Rat Nr. 16], Slg. 1980, S. 3333). Die unmittelbare Wirkung kann sich dabei aus den Auswirkungen eines Rechtsakts zugunsten eines Konkurrenzunternehmens ergeben, wenn sich dieser in entsprechender Weise auf den Markt auswirkt (EuG, Urt. v. 24.3.1994 – T-3/93 [Société anonyme à participation ouvrière Compagnie nationale Air France/Kommission Nr. 80 f.] – zur unmittelbaren Betroffenheit der Air France hinsichtlich des Zusammenschlusses von Dan Air und BA). Erforderlich ist, dass zwischen dem Nachteil des Klägers und der angegriffenen Entscheidung ein unmittelbarer kausaler Zusammenhang besteht (EuG, Urt. v. 27.4.1995 – T-96/92 [Comité central d'entreprise de la Société général des grandes sources u.a./Kommission Nr. 45]). Bei der Geltendmachung immaterieller Interessen natürlicher Personen ist zu bedenken, dass die Kriterien für die unmittelbare Betroffenheit auf wirtschaftliche Sachverhalte zugeschnitten sind und aus diesen heraus entwickelt wurden (Streinz/Ehricke, Art. 263 AEUV Rn 67 m.w.N.: "unbefriedigend gelöst").
☆ Vollzugsakte nationaler Behörden können dem Grundsatz der Subsidiarität folgend vor den nationalen Gerichten angegriffen werden, wobei Fragen gemeinschaftsrechtlicher Natur erforderlichenfalls in einem Vorabentscheidungsverfahren gemäß Art. 267 AEUV geklärt werden können, weshalb es in einem solchen Fall der Einräumung einer Klagebefugnis hinsichtlich der Einlegung einer Nichtigkeitsklage nicht bedarf.Grundsatz der Subsidiarität folgend vor den nationalen Gerichten angegriffen werden, wobei Fragen gemeinschaftsrechtlicher Natur erforderlichenfalls in einem Vorabentscheidungsverfahren gemäß Art. 267 AEUV geklärt w...