Dr. Andreas Geipel, Daniel Hagmann
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
Die Verfassungsbeschwerde ist beim BVerfG einzulegen und zu begründen. Ein ausdrücklicher Antrag ist hingegen nicht erforderlich. |
2. |
§ 23 BVerfGG erfordert "Schriftform". |
3. |
Die Einlegung der Verfassungsbeschwerde erfordert keine besondere Postulationsfähigkeit. |
4. |
In der Praxis ist die sachgerechte Darlegung der Erfüllung der Zulässigkeitskriterien besonders wichtig. |
Rdn 787
Literaturhinweise:
Eschelbach/Gieg/Schulz, Begründungsanforderungen an die Urteilsverfassungsbeschwerde in Strafsachen, NStZ 2000, 565
Kranenpohl, Hinter dem Schleier des Beratungsgeheimnisses, 2010
Pagenkopf, Vorschläge zu Verfahrensänderungen im BVerfGG, ZRP 2012, 42
Sobota, in: Dyck/Jens/Ueding (Hrsg.), Rhetorik, Bd. 15, S. 115, zit.: Sobota, S.
s.a. die Hinw. bei → Verfassungsbeschwerde, Allgemeines, Teil C Rdn 730, m.w.N.
Rdn 788
1. Die Verfassungsbeschwerde ist beim BVerfG einzulegen und zu begründen. Ein ausdrücklicher Antrag ist hingegen nicht erforderlich, wenn sich dieser konkludent aus der Begründung ergibt (vgl. Zuck, Rn 801 ff.). Das Ziel muss jedoch aus dem Vorbringen ersichtlich sein (vgl. Eschelbach/Gieg/Schulz NStZ 2000, 565, 569). Im Zweifel ist konkludent der Antrag gestellt, der Verfassungsbeschwerde nach Maßgabe des § 95 BVerfGG stattzugeben (vgl. Pieroth/Silberkuhl, § 90 BVerfGG Rn 280).
Rdn 789
2. § 23 BVerfG erfordert "Schriftform". Das ist aber nicht gleichbedeutend mit dem Erfordernis der Unterschrift wie bei §§ 126 BGB, 253 Abs. 4 i.V.m. 130 Nr. 6 ZPO. Erforderlich ist, dass aus dem Schriftstück der Inhalt der Erklärung, die abgegeben werden soll und die Person, von der sie ausgeht, hinreichend zuverlässig entnommen werden können d.h. der Urheber der Erklärung kann auch auf andere Weise als durch Unterschrift angegeben werden (vgl. BVerfGE 15, 288, 291; → Verfassungsbeschwerde, Form, Teil C Rdn 1123; allgemein: → Rechtsmittel/Rechtsbehelfe, Form, schriftlich, Teil A Rdn 1531).
Rdn 790
3. Die Einlegung der Verfassungsbeschwerde erfordert keine besondere Postulationsfähigkeit. Lediglich im Fall der mündlichen Verhandlung vor dem BVerfG herrscht gem. § 22 BVerfG Vertretungszwang durch einen Rechtsanwalt oder einen Lehrer des Rechts an einer deutschen Hochschule.
Rdn 791
Denkbar ist daher auch eine Vertretung durch Dritte, die freilich auf Extremfälle beschränkt bleiben sollte (vgl. BVerfG NJW 1994, 1272 [Einlegung einer Verfassungsbeschwerde einer Frau im Namen ihres Ehemannes und Vorlage eines nervenärztlichen Attests, das ihrem Ehemann chronisch depressive Reaktion und die Gefahr der völligen Dekompensation attestierte]).
Rdn 792
4.a) In der Praxis ist die sachgerechte Darlegung der Erfüllung der Zulässigkeitskriterien besonders wichtig (vgl. dazu die u.a. weiterführenden Stichwörter). Von Bedeutung sind darüber hinaus die z.T. sehr hohen Begründungsanforderungen hinsichtlich der geltend gemachten Verfassungsverstöße (vgl. dazu → Verfassungsbeschwerde, Allgemeines, Teil C Rdn 729, m.w.N., und → Verfassungsbeschwerde, Form, Teil C Rdn 1123).
Rdn 793
b)aa) Der frühere Richter am BVerwG Pagenkopf ist der Ansicht, dass die Rspr. des BVerfG zu den Grundrechten Allgemeingut der Rechtsprechung geworden sei und die entscheidenden verfassungsgerichtlichen Maßstäbe errichtet seien, sodass der Anwendungsbereich der Verfassungsbeschwerde reduziert werden sollte, zumal die Verfassungsrechtsprechung meist generalisiert und fachfern sei und oft nur akademische Überlegungen beinhalte (Pagenkopf ZRP 2012, 42 f.). Dem ist entschieden zu widersprechen.
Rdn 794
Richtig ist aber, dass die Entscheidungen des BVerfG zu einem großen Teil aus abstrakten Obersätzen und Textbausteinen bestehen. Soweit ersichtlich gibt es nur zwei Untersuchungen (von Sobota und von Kranenpohl), die den Inhalt der Entscheidungen des BVerfG argumentativ (Sobota) bzw. den Entscheidungsprozess innerhalb des BVerfG (Kranenpohl) untersuchen. Sobota kommt zu dem Ergebnis, dass nicht Rechtsargumente, sondern rhetorische Argumente entscheidend seien (Sobota, S. 115, 129 ff.) und Kranenpohl berichtet, dass aufgrund von unscharfen und unpräzisen rechtswissenschaftlichen Begründungszusammenhängen keine übermäßige Schließung vorhanden sei (Kranenpohl, S. 498).
☆ Für den Praktiker muss dies für die Begründung der Verfassungsbeschwerde bedeuten, dass er die vorhandenen Obersätze/Textbausteine der verfassungsgerichtlichen Judikatur für sich nutzt und deren Anwendbarkeit auf seinen konkreten Einzelfall behauptet.Praktiker muss dies für die Begründung der Verfassungsbeschwerde bedeuten, dass er die vorhandenen Obersätze/Textbausteine der verfassungsgerichtlichen Judikatur für sich nutzt und deren Anwendbarkeit auf seinen konkreten Einzelfall behauptet.
Auf der Ebene der Zulässigkeit genügt es, die Möglichkeit der Verletzung in einem beschwerdefähigen Recht darzulegen (Pieroth/Silberkuhl/Hartmann, § 90 BVerfGG Rn 3 m.w.N.). Wichtig ist sodann ein sorgfältiger und umfassender Vortrag zu den tatsächlichen Umständen der Beschwerde,
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also ein umfangreicher S... |