Dr. Andreas Geipel, Daniel Hagmann
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
Das Verhältnismäßigkeitsprinzip hat Verfassungsrang. |
2. |
Der erste Ansatzpunkt zur Prüfung des Verhältnismäßigkeitsprinzips ist die Frage nach der Rechtfertigung einer Strafnorm. |
3. |
Der zweite Ansatzpunkt zur Prüfung des Verhältnismäßigkeitsprinzips ist der Anwendungsbereich in der (konkreten) Strafzumessung. |
Rdn 1084
Literaturhinweise:
Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011
s.a. die Hinw. bei → Verfassungsbeschwerde, Allgemeines, Teil C Rdn 730.
Rdn 1085
1. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip hat Verfassungsrang. Der ergibt sich aus dem Rechtsstaatsprinzip, im Grunde bereits aus dem Wesen der Grundrechte selbst, die als Ausdruck des allgemeinen Freiheitsanspruchs des Bürgers gegenüber dem Staat von der öffentlichen Gewalt jeweils nur so weit beschränkt werden dürfen, als es zum Schutz öffentlicher Interessen unerlässlich ist (BVerfGE 19, 342, 348 f.; 20, 144; 32, 87; 36, 212). Das Verhältnismäßigkeitsprinzip überschneidet sich mit dem Schuldgrundsatz (s. dazu auch: → Verfassungsbeschwerde, Begründung, Schuldgrundsatz, Teil C Rdn 1055) und dem Gebot der Wahrheitserforschung (s. dazu auch: → Verfassungsbeschwerde, Begründung, Wahrheitserforschungsgebot, Teil C Rdn 1104).
☆ Das Verhältnismäßigkeitsprinzip kann für den Verteidiger in zwei Ansatzpunkten zu prüfen sein:zwei Ansatzpunkten zu prüfen sein:
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Das Gesetz selbst kann unverhältnismäßig sein (vgl. dazu Rdn 1086 ff.) oder |
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die konkrete Strafzumessung hieraus (vgl. dazu Rdn 1092 ff.). |
Das BVerfG spricht von einem Verfassungsgebot des sinn- und maßvollen Strafens (vgl. BVerfGE 28, 386, 391; 73, 206, 253).
Rdn 1086
2.a) Der erste Ansatzpunkt zur Prüfung des Verhältnismäßigkeitsprinzips ist die Frage nach der Rechtfertigung einer Strafnorm.
Rdn 1087
b)aa) Einerseits hat das Strafrecht die Aufgabe, die elementaren Werte des Gemeinschaftslebens zu schützen. Schuldausgleich, Prävention, Resozialisierung des Täters, Sühne und Vergeltung für begangenes Unrecht werden als Aspekte einer angemessenen Strafsanktion bezeichnet (vgl. BVerfGE 45, 187, 253 f. m.w.N.). Aber andererseits steht hiergegen das Freiheitsrecht des Beschuldigten. Der zwischen einem Pönalisierungsgebot und einem Pönalisierungsverbot bestehende Interessengegensatz soll durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz aufgelöst werden (vgl. Umbach/Clemens/Dollinger/Niemöller, Kap. A Rn 6 ff. m.w.N.). Wird Freiheitsstrafe angedroht, so ermöglicht dies einen Eingriff in das durch Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG geschützte Grundrecht der Freiheit der Person. Die Freiheit der Person ist aber ein so hohes Rechtsgut, dass in sie aufgrund des Gesetzesvorbehalts des Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG nur aus besonders gewichtigen Gründen eingegriffen werden darf. Solche Eingriffe sind im Allgemeinen nur zulässig, wenn der Schutz anderer oder der Allgemeinheit dies unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erfordert (BVerfGE 90, 145, 172).
Rdn 1088
bb) Nach diesem Grundsatz muss ein grundrechtseinschränkendes Gesetz geeignet und erforderlich sein, um den erstrebten Zweck zu erreichen. Es darf zudem nicht unzumutbar sein und den Betroffenen übermäßig belasten. Ein Gesetz ist geeignet, wenn mit seiner Hilfe der erstrebte Erfolg gefördert werden kann. Es ist erforderlich, wenn der Gesetzgeber nicht ein anderes, gleich wirksames, aber das Grundrecht nicht oder weniger stark einschränkendes Mittel hätte wählen können. Bei der Beurteilung der Eignung und Erforderlichkeit des gewählten Mittels zur Erreichung der erstrebten Ziele sowie bei der in diesem Zusammenhang vorzunehmenden Einschätzung und Prognose der dem Einzelnen oder der Allgemeinheit drohenden Gefahren steht dem Gesetzgeber ein Beurteilungsspielraum zu, welcher vom BVerfG je nach der Eigenart des in Rede stehenden Sachbereichs, den Möglichkeiten, sich ein hinreichend sicheres Urteil zu bilden, und der auf dem Spiel stehenden Rechtsgüter nur in begrenztem Umfang überprüft werden kann (vgl. Lechner/Zuck, Einl., Rn 85 ff.).
☆ Ferner muss bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht sowie der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit für die Adressaten des Verbots gewahrt sein. Die Maßnahme darf sie mithin nicht übermäßig belasten (sog. Übermaßverbot oder Verhältnismäßigkeit i.e.S.; vgl. BVerfGE 48, 396, 402; 83, 1, 19).Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht sowie der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit für die Adressaten des Verbots gewahrt sein. Die Maßnahme darf sie mithin nicht übermäßig belasten (sog. Übermaßverbot oder Verhältnismäßigkeit i.e.S.; vgl. BVerfGE 48, 396, 402; 83, 1, 19).
Rdn 1089
Die gänzliche Zweckuntauglichkeit eines Gesetzes wird selten dargelegt oder angenommen werden können. In der Frage der Zwecktauglichkeit von Gesetzen hat das BVerfG auch stets Zurückhaltung gewahrt. Es hat jeweils nur geprüft, ob das eingesetzte Mittel "objektiv untauglich" (BVerfGE 16, 147, 181), "objektiv ung...