Detlef Burhoff, Dr. Peter Kotz
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
Verwandte in gerader Linie sind verpflichtet, einander Unterhalt zu gewähren (§ 1601 BGB). |
2. |
Unterhalt ist geschuldet, soweit Bedürftigkeit besteht. |
3. |
Macht das volljährige Kind geltend, es sei trotz aller Bemühungen nicht in der Lage, den eigenen Bedarf zu decken, ist zu prüfen, ob es schuldhaft bedürftig ist. |
Rdn 827
Literaturhinweise:
S. die Hinw. bei → Familie, Allgemeines, Teil H Rdn 692.
Rdn 828
1. Verwandte in gerader Linie sind verpflichtet, einander Unterhalt zu gewähren (§ 1601 BGB). Das ist der gesetzgeberische Grundsatz, aufgrund dessen Eltern ihren Kindern Unterhalt zu gewähren haben.
Rdn 829
2. Unterhalt ist geschuldet, soweit Bedürftigkeit besteht. Bedürftig ist, wer außerstande ist, sich selbst zu unterhalten (§ 1602 Abs. 1 BGB).
Rdn 830
a) Bei der Frage, ob jemand außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, ist einerseits auf die realen wirtschaftlichen Verhältnisse abzustellen, andererseits gegebenenfalls auf fiktive wirtschaftliche Verhältnisse.
Rdn 831
b) Geht es um den Unterhalt für minderjährige unverheiratete Kinder, so haben diese das Recht (und die Pflicht), zunächst einen Schulabschluss zu erreichen und eine Ausbildung zu absolvieren, bevor von ihnen verlangt werden kann, dass sie einer Erwerbstätigkeit nachgehen und ihren Bedarf selber decken, d.h. ihr Leben selber finanzieren (Palandt/Brudermüller, BGB, § 1602 Rn 5).
Rdn 832
c) Wie minderjährige unverheiratete Kinder behandelt werden volljährige unverheiratete Kinder, die das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und im Haushalt der Eltern oder eines Elternteiles leben (§ 1603 Abs. 2 S. 2 BGB).
Rdn 833
d) Faktisch ebenso behandelt werden Kinder, die zwar volljährig sind, aber noch ihre Ausbildung durchlaufen (Palandt/Brudermüller, BGB, § 1602 Rn 6).
Rdn 834
e) In der Praxis unklar ist, was gilt, wenn ein Kind zwar schulpflichtig ist oder einer Ausbildung nachgehen könnte, diese aber nicht oder mit Verzögerung tatsächlich durchläuft. Der BGH verweist insofern auf die individuellen Verhältnisse des Einzelfalles, hat deshalb auch einem Kind mit schlechtem Notendurchschnitt und jahrelang erfolglosen Bemühungen um einen Ausbildungsplatz Unterhalt zu gesprochen, allerdings dabei zu erkennen gegeben, dass der Unterhaltsanspruch endet, wenn kein Kindergeld nach dem BKKG mehr bezogen werden kann, d.h. max. bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres (BGH NJW 2013, 2751).
Rdn 835
f) Ein volljähriges Kind, das sich nicht in einer Ausbildung befindet und diese auch nicht mehr anstrebt, ist grundsätzlich nicht mehr unterhaltsberechtigt (BGH NJW 1985, 806). Es muss jede sich bietende Gelegenheit ergreifen, um den eigenen Bedarf selber zu decken (OLG Celle FamRZ 1990, 1142).
Rdn 836
3. Macht das volljährige Kind geltend, es sei trotz aller Bemühungen nicht in der Lage, den eigenen Bedarf zu decken, so ist zu prüfen, ob es schuldhaft bedürftig ist.
Rdn 837
a) Das gilt naturgemäß vor allem in den Fällen der abgebrochenen oder nicht einmal begonnenen Berufsausbildung. Besteht nämlich die Bedürftigkeit aufgrund sittlichen Verschuldens, so nimmt dies Einfluss auf eine etwa bestehende Unterhaltspflicht. Ebenso ist zu beachten, ob das Kind seine eigene Unterhaltspflicht gegenüber dem Unterhaltspflichtigen evtl. gröblich vernachlässigt hat oder sich gar vorsätzlich einer schweren Verfehlung gegen den Unterhaltspflichtigen oder einen nahen Angehörigen von ihm schuldig machte. In diesen Fällen ist nur noch ein Unterhalt geschuldet, der der Billigkeit entspricht und bei Vorliegen grober Unbilligkeit gar kein Unterhalt mehr (§ 1611 Abs. 1 BGB).
Rdn 838
b) Der Vorwurf sittlichen Verschuldens kann nur erhoben werden bei vorwerfbarem Verhalten von erheblichem Gewicht (BGHZ 93, 123; OLG Hamm NJW-RR 2002, 650). Eine kriminelle Lebensführung desjenigen, der Unterhalt für sich verlangt, wird als sittliches Verschulden i.S.d. § 1611 Abs. 1 BGB angesehen.
Rdn 839
c) Wenn als Rechtsfolge des § 1611 BGB gilt, dass Unterhalt nur noch nach Billigkeit zu zahlen ist und bei grober Unbilligkeit gar nicht mehr, so bedeutet dies:
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Zum einen ist zu fragen, wie gravierend das anstößige Verhalten des unterhaltsberechtigten Kindes ist (OLG Hamm FamRZ 2007, 165) bzw. wie sich die Dinge dann weiter entwickelt haben, ob bspw. Möglichkeiten der Therapie gegen eine Drogensucht ausgeschlagen wurden (OLG Frankfurt FamRZ 2011, 226); |
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zum anderen ist das Verhalten des auf Unterhalt in Anspruch Genommenen zu bewerten sowie insbesondere seine wirtschaftliche Situation (OLG Hamm FamRZ 2007, 165). |
☆ Fälle, in denen in der Praxis wegen § 1611 BGB der Unterhalt aus Billigkeitsgründen reduziert wird, kommen durchaus vor, Fälle, in denen der Unterhalt unter dem Aspekt der groben Unbilligkeit völlig versagt wird, sind die absolute Ausnahme.Unterhalt aus Billigkeitsgründen reduziert ...