Das Wichtigste in Kürze:

1. Wer durch sein eigenes zurechenbares vorsätzliches/grob fahrlässiges Verhalten eine (entschädigungspflichtige) Strafverfolgungsmaßnahme ausgelöst hat, soll hierfür nicht entschädigt werden (§ 5 Abs. 2 StrEG). Neben § 7 StrEG, der den Schadensumfang betrifft, bilden die §§ 5, 6 die Einbruchsstelle für die zivilrechtlichen Grundsätze des Schadensersatzrechts.
2. Vorsätzlich handelt der Verfolgte, wenn er sich konkret also eine strafrechtliche Verurteilung oder andere Verfolgungsmaßnahme vorstellt und sie in Kenntnis der Pflichtwidrigkeit ihrer Herbeiführung in seinen Willen aufgenommen hat.
3. Grob fahrlässig i.S.d. §§ 276 Abs. 2, 277 BGB handelt, wer diejenige Aufmerksamkeit bzw. Sorgfalt objektiv unbeachtet lässt, die ein ordentlicher und verständiger Mensch mit vergleichbaren Fähigkeiten in seiner Lage aufwenden würde, um sich vor materiellem und immateriellem Schaden durch den Vollzug einer Verfolgungsmaßnahme zu bewahren.
4. Das Verhalten des Verfahrensbetroffenen muss die Verfolgungsmaßnahme adäquat kausal verursacht haben.
5. Im Entschädigungsrecht können dagegen bestimmte Erscheinungsformen des Aussageverhaltens zum Nachteil des Verfahrensbetroffenen gewertet werden und zum Entschädigungsausschluss führen.
6. Ein Beschuldigter führt den Erlass eines Haftbefehls (ggf. zusammen mit der Einleitung eines Auslieferungsverfahrens) schuldhaft herbei, wenn er sich z.B. ins Ausland absetzt, um sich dem EV zu entziehen.
7. Entschädigung ist zu versagen, wenn der Beschuldigte verdunkelt.
8. Die Verfolgungsmaßnahme kann grds. auch durch Unterlassen (mit)verursacht werden.
 

Rdn 336

 

Literaturhinweise:

S. die Hinw. bei → StrEG-Entschädigung, Allgemeines, Teil I Rdn 281.

 

Rdn 337

1. Wer durch sein eigenes zurechenbares vorsätzliches/grob fahrlässiges Verhalten eine (entschädigungspflichtige) Strafverfolgungsmaßnahme ausgelöst hat, soll hierfür nicht entschädigt werden (§ 5 Abs. 2 StrEG) (KG, Beschl. v. 19.5.2004 – 5 Ws 134/04).

 

Rdn 338

a) Neben § 7 StrEG, der den Schadensumfang betrifft, bilden die §§ 5, 6 StrEG die Einbruchsstelle für die zivilrechtlichen Grundsätze des Schadensersatzrechts. Die auf § 5 StrEG gestützte Versagung der Entschädigung stellt deshalb auch keinen Verstoß gegen die Unschuldsvermutung dar, solange sie keine strafrechtliche Schuld feststellt, sondern nur zugrunde legt, dass dem von der Maßnahme Betroffenen eine (Mit-)Verursachung im zivilrechtlichen Sinne anzulasten ist (BVerfG, Beschl. v. 21.11.2002 – 2 BvR 1609/02; OLG Celle wistra 2011, 239). § 5 StrEG entspricht inhaltlich § 254 BGB, ohne allerdings – anders als § 6 StrEG – den Raum für eine Schadensaufteilung zu eröffnen. Insoweit gilt das sog. Alles-oder-Nichts-Prinzip (OLG Karlsruhe MDR 1975, 250; Kunz, StrEG, § 5 Rn 3; Meyer, StrEG, § 5 Rn 5; a.A: OLG Hamm NJW 1975, 2033); eine Quotelung findet nicht statt. Dies darf aber nicht damit verwechselt werden, dass Entschädigung für einen bestimmten Vollzugszeitraum zugesprochen werden kann (BGH, Beschl. v. 10.12.1986 – 3 StR 500/86). Infolge der Anwendbarkeit zivilrechtlicher Grundsätze trifft den Verfahrensbetroffenen auch eine Schadensminderungspflicht.

 

Rdn 339

b) § 5 Abs. 2 S. 1 StrEG enthält einen Ausnahmetatbestand. Deshalb ist bei der Beurteilung, ob der Beschuldigte eine Ursache zum Vollzug zu der Strafverfolgungsmaßnahme gesetzt hat, ein strenger Maßstab anzulegen; er muss die Maßnahme sozusagen herausgefordert haben. Daher reicht es nicht aus, dass sich der Verfolgte irgendwie verdächtig gemacht hat und die gesamte Verdachtslage die ergriffene Strafverfolgungsmaßnahme rechtfertigt (BVerfG NJW 1996, 1049; BGH StraFo 2010, 87 m. Anm. Kotz StRR 2010, 65). Erforderlich ist vielmehr, dass die Maßnahme nicht im Wesentlichen auf anderen Beweisen beruht oder sie auch unabhängig von seinem Verhalten, welches sicher festzustellen ist (OLG Köln StraFo 2001, 146; OLG Oldenburg StraFo 2005, 384), angeordnet oder aufrechterhalten worden wäre. Im Zweifelsfall ist zu seinen Gunsten zu entscheiden (BVerfG NJW 1996, 1049; KG, Beschl. v. 9.3.1999 – 4 Ws 24/99; Kunz, StrEG, § 5 Rn 43; Meyer, StrEG, § 5 Rn 39; Meyer-Goßner/Schmitt, § 5 StrEG Rn 7).

 

Rdn 340

c) Die Beurteilung erfolgt nicht im Wege einer Ex-post-Betrachtung und hängt daher auch nicht vom Ergebnis der HV ab. Maßgeblich ist allein, wie sich der Sachverhalt der Strafverfolgungsbehörde in dem Zeitpunkt dargestellt hat, in dem die betreffende Maßnahme vollzogen bzw. aufrechterhalten wurde (BGH BGHR StrEG § 5 Abs. 2 Satz 1 Fahrlässigkeit, grobe 6; KG, Beschl. v. 9.7.1999 – 4 Ws 112/99; OLG Oldenburg VRS 91, 77).

 

☆ Aus rechtsstaatlichen Gesichtspunkten ist von diesem Prinzip dann abzuweichen , wenn der Verfahrensbetroffene infolge einer Änderung der höchstrichterlichen Rspr. zwischen Anklageerhebung und gerichtlicher Entscheidung freizusprechen ist. Dann muss der Staat, der einen Bürger wegen eines Verhaltens verfolgt, das bei richtiger, bindender höchstrichterlicher Rechtsauslegung niemals strafbar war, das damit für ...

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