Detlef Burhoff, Dr. Peter Kotz
Rdn 363
Literaturhinweise:
S. die Hinw. bei StrEG-Entschädigung, Allgemeines, Teil I Rdn 281.
Rdn 364
1. Die Entschädigungsvoraussetzungen nach § 4 StrEG sind gegenüber denjenigen des § 3 enger (Meyer, StrEG, § 4 Rn 12). Während es dort an der Feststellung von Rechtswidrigkeit und Schuld fehlt, setzt die Anwendbarkeit einen Schuldspruch oder die Anordnung einer Maßregel der Besserung und Sicherung voraus. Die Entschädigungsfrage stellt sich nach § 4 StrEG daher im Zusammenhang mit
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dem Absehen von Strafe (Abs. 1 Nr. 1) (Rdn 365), |
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der Unverhältnismäßigkeit der Strafverfolgungsmaßnahme (Abs. 1 Nr. 2) (Rdn 368 ff.) oder |
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einem strafrechtlichen EV, das in ein Ordnungswidrigkeitenverfahren übergeleitet wurde (Abs. 2) (Rdn 387 ff.). |
Rdn 365
2. Bei einer Reihe von Straftaten, bei deren Aburteilung das Gericht zu einem Schuldspruch gelangt, kann es unter deliktsspezifischen (z.B. §§ 29 Abs. 5, 31 BtMG) bzw. strafzumessungsrechtlichen (z.B. §§ 46a, 46b StGB) oder allgemein täterbezogenen (§ 60 StGB) Voraussetzungen von Strafe absehen (Katalog bei Meyer-Goßner/Schmitt § 153b StPO Rn 1). Die Vorschrift ist auf die Verwarnung mit Strafvorbehalt (§ 59 StGB) und die Straffreierklärung (§ 199 StGB) entsprechend anwendbar.
Rdn 366
Wie in einer derartigen Konstellation mit der Entschädigung für erlittene Strafverfolgungsmaßnahmen (§ 4 Abs. 1 Nr. 1 StrEG) umzugehen ist, scheint bislang eine ausschließlich theoretische Frage zu sein, da – soweit ersichtlich – hierzu Rspr. nicht existiert (Kunz, StrEG, § 4 Rn 15; Meyer, StrEG, § 4 Rn 35). Lediglich das BayObLG hat darauf hingewiesen, dass der Anwendungsbereich der Vorschrift nur dann eröffnet sein kann, wenn keine Ausschlussgründe nach § 5 StrEG vorliegen (BayObLG NZV 1990, 399).
Rdn 367
Auch hier ist jedenfalls eine Gesamtbetrachtung anzustellen, in der die Auswirkungen der vollzogenen Verfolgungsmaßnahme vor dem Hintergrund der Tatschuld bzw. Tatschwere zu beurteilen und zu den Gründen, die zum Absehen von Strafe geführt haben, in Beziehung zu setzen ist.
Rdn 368
3.a) Im Unterschied zu § 4 Abs. 1 Nr. 1 StrEG sind Entschädigungsfragen im Zusammenhang mit überschießenden Verfolgungsmaßnahmen (§ 4 Abs. 1 Nr. 2 StrEG) von durchaus praktischer Relevanz, wobei die überwiegende Mehrzahl der entschiedenen Fälle freiheitsentziehende Maßnahmen betrifft, auf die auch der Gesetzgeber sein Hauptaugenmerk gerichtet hatte (Meyer, StrEG, § 4 Rn 38). Einen weiteren Schwerpunkt bildet die (vorläufige) Entziehung der Fahrerlaubnis.
Rdn 369
b) Der Vorrang des Entschädigungsausschlusses ist – unabhängig von den verhaltensbedingten Ausschlusstatbeständen – insbesondere wegen der Anrechnungsvorschrift des § 5 Abs. 1 Nr. 1 StrEG zu beachten. Danach ist für eine Billigkeitsentschädigung kein Raum, wenn die Dauer der U-Haft die zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe – bei vorliegender Verfahrenseinheit mit dem freigesprochenen Sachverhalt, aufgrund dessen die U-Haft angeordnet worden war – nicht übersteigt (BGH, Beschl. v. 11.1.2012 – 5 StR 531/11).
Rdn 370
Beispiel:
Der Angeklagte (V) wurde im Verfahren A zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Im Verfahren B, in dem 611 Tage U-Haft vollzogen worden waren, wurde V wegen Untreue in zwei Fällen und wegen Betrugs (Einzelstrafe: 1 Jahr sechs Monate = 545 Tage) unter Einbeziehung der Bewährungsstrafe aus dem Verfahren A zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Infolge rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerungen wurde dabei ein Zeitraum von einem Jahr und sechs Monaten für vollstreckt erklärt. Dieses Urteil wurde auf Revision des V im Hinblick auf die Verurteilungen wegen Untreue sowie im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Die weiter gehende Revision bezüglich der Verurteilung wegen Betrugs wurde verworfen.
Das neue Tatgericht stellte das Verfahren hinsichtlich der beiden nach der Zurückverweisung noch nicht abgeurteilten Untreuetaten gemäß § 154 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 StPO im Hinblick auf die rechtskräftige Verurteilung wegen Betrugs ein und bildete aus der verbliebenen Einzelstrafe für das Betrugsdelikt und der im Verfahren A verhängten sechsmonatigen Bewährungsstrafe nachträglich eine Gesamtstrafe von 1 Jahr und 10 Monaten.
V beantragte eine Entschädigung für 611 Tage U-Haft mit der Begründung, die verbliebene Einzelstrafe sei infolge Kompensation vollstreckt und könne deshalb auf die erlittene U-Haft nicht mehr angerechnet werden.
Das OLG Rostock (Besch...