Detlef Burhoff, Dr. Peter Kotz
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
§ 6 Abs. 1 Nr. 2 StrEG ermöglicht die Versagung einer Entschädigung unter zweierlei Voraussetzungen, nämlich wegen Nichtverurteilung wegen – nicht ausschließbaren – Handelns im Zustand der Schuldunfähigkeit und Nichtverurteilung wegen Einstellung des Verfahrens infolge eines Verfahrenshindernisses. |
2. |
Die Entschädigung kann versagt werden, wenn der einzige Grund für die Nichtverurteilung in der fehlenden Schuldfähigkeit (der fehlenden Reife [§ 3 JGG]) des Verfahrensbetroffenen liegt. |
3. |
Erfolgt die Nichtverurteilung ausschließlich deshalb, weil das Verfahren wegen eines Verfahrenshindernisses eingestellt werden muss, ist der Anwendungsbereich des § 6 Abs. 1 Nr. 2, 2. Alt. StrEG erst dann eröffnet, wenn die Entschädigung nicht bereits durch § 5 Abs. 2 S. 1 StrEG ausgeschlossen ist. |
4. |
Umstr. ist, ob in Fällen des § 6 Abs. 1 Nr. 2, 2. Alt. StrEG das Verbot der reformatio in peius (§ 331 StPO) entsprechend angewendet werden kann. |
Rdn 658
Literaturhinweise:
S. die Hinw. bei → StrEG-Entschädigung, Allgemeines, Teil I Rdn 281.
Rdn 659
1. § 6 Abs. 1 Nr. 2 StrEG ermöglicht die Versagung einer Entschädigung unter zweierlei Voraussetzungen, nämlich wegen Nichtverurteilung wegen – nicht ausschließbaren – Handelns im Zustand der Schuldunfähigkeit und Nichtverurteilung wegen Einstellung des Verfahrens infolge eines Verfahrenshindernisses. In beiden Fällen muss das Gericht zunächst feststellen, dass der Vollzug der Verfolgungsmaßnahme durch den Verfahrensbetroffenen – zumindest leicht – fahrlässig (mit)verursacht wurde.
Rdn 660
2.a Die Entschädigung kann (nur) versagt werden, wenn der einzige Grund für die Nichtverurteilung in der fehlenden Schuldfähigkeit (der fehlenden Reife [§ 3 JGG]) des Verfahrensbetroffenen liegt (h.M.; BeckOK-StPO/Cornelius § 6 StrEG Rn 6; Kunz, StrEG, § 6 Rn 24; Meyer, StrEG, § 6 Rn 31; Meyer-Goßner/Schmitt § 6 StrEG Rn 6). Dies gilt auch für den Fall, dass sichere Feststellungen, der Beschuldigte habe im Zustande der Schuldunfähigkeit gehandelt, nicht getroffen werden konnten, es jedoch nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung feststeht, dass entweder die Voraussetzungen des § 63 StGB vorlagen oder eine volle oder allenfalls nach § 21 StGB verminderte Schuldunfähigkeit gegeben war, und die Abweisung des Antrags auf Unterbringung ebenso wie die Überleitung in das Strafverfahren lediglich deshalb unterblieben ist, weil nicht zu klären war, welche der beiden Voraussetzungen vorlag (LG Kiel, Beschl. v. 6.12.1989 – VII KLs 49/88).
☆ Ob die Versagung der Entschädigung die Regelfolge sein muss (BeckOK-StPO/ Cornelius § 6 StrEG Rn 6; Meyer-Goßner/Schmitt , § 6 StrEG Rn 2), kann jedenfalls dem insoweit offenen Gesetzeswortlaut nicht entnommen werden.Versagung der Entschädigung die Regelfolge sein muss (BeckOK-StPO/Cornelius § 6 StrEG Rn 6; Meyer-Goßner/Schmitt, § 6 StrEG Rn 2), kann jedenfalls dem insoweit offenen Gesetzeswortlaut nicht entnommen werden.
Rdn 661
b) Die zu treffenden Ermessensentscheidung muss sich mit dem Schweregrad der rechtswidrigen Tat, Beeinträchtigung des Rechtsfriedens und Ausmaß des dem Verfahrensbetroffenen auferlegten Sonderopfers (BGH NStZ-RR 2010, 296; OLG Köln StraFo 2012, 41; OLG Stuttgart NStZ-RR 2000, 190) auseinandersetzen. Scheidet die Anordnung einer Unterbringung nach § 63 StGB aus, weil eine geeignete Anlasstat nicht nachweisbar ist, reduziert sich das Ermessen, eine Entschädigung zu gewähren, auf Null (KG, Beschl. v. 15.5.2012 – 4 Ws 57/12; 14). I.Ü. kann die Entschädigung nicht versagt werden, wenn der Unrechtsgehalt der Tat vergleichsweise gering ist, der Rechtsfrieden kaum in nennenswertem Umfang gestört wurde und das Maß des zu erleidenden Sonderopfers infolge der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe beträchtlich war (OLG Hamm NJW 2012, 3046).
Rdn 662
3.a) Erfolgt die Nichtverurteilung ausschließlich deshalb, weil das Verfahren wegen eines Verfahrenshindernisses eingestellt werden muss, ist der Anwendungsbereich des § 6 Abs. 1 Nr. 2, 2. Alt. StrEG erst dann eröffnet, wenn die Entschädigung nicht bereits durch § 5 Abs. 2 S. 1 StrEG ausgeschlossen ist. Dies hat der BGH (BGHSt 29, 168 vgl. auch KG NStZ-RR 2012, 31) ausdrücklich zwar nur für die Frage der Verfolgungsverjährung entschieden; aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich aber, dass der Vorrang des § 5 Abs. 2 S. 1StrEG auch hinsichtlich dieses Entschädigungstatbestands durch § 6 Abs. 1 nicht beseitigt werden sollte (I. Erg. ebenso: Kunz, StrEG, § 5 Rn 110). Scheitert die wahlweise Verurteilung an der rechtsethischen und psychologischen Vergleichbarkeit beider Delikte, steht dieser Umstand einem Verfahrenshindernis gleich (OLG Karlsruhe MDR 1981, 430).
Rdn 663
a)aa) Der Sache nach liegt die Problematik bei der nach § 6 Abs. 2 StrEG zu treffenden Entscheidung – wie bei derjenigen des § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO, der infolge der identischen Ausgangssituation hier als Auslegungshilfe herangezogen werden kann (OLG Bamberg, Beschl. v. 20.7.2010 – 1 Ws 218/10 [insoweit in NStZ-RR 2011, 176 ...