Zusammenfassung
Arbeitnehmer erwarten vor dem Hintergrund des unverändert bestehenden sog. Bewerbermarkts, dass ihr Arbeitgeber ihnen Arbeitsbedingungen gewährt, die ein modernes und selbstbestimmtes Arbeiten ermöglichen. Für viele Arbeitgeber und HR-Verantwortliche gehört es daher im sog. War for Talents zum Standardrepertoire, Bewerbern und Arbeitnehmern anzubieten, einen Teil der Arbeitszeit mobil aus dem Ausland zu erbringen. In Betracht kommen etwa die Modelle Workation oder Bleisure.
Der Beitrag befasst sich schwerpunktmäßig mit arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Fragen, die sich Arbeitgebern stellen, wenn Arbeitnehmer temporär aus dem Ausland arbeiten, ihren Lebensmittelpunkt aber unverändert in Deutschland haben. Er soll HR-Verantwortlichen insbesondere Anleitung und Hilfestellung zur praktischen Umsetzung geben.
1 Bedeutung und Begrifflichkeiten
Der Trend zu zunehmend flexiblen Arbeitsbedingungen und neuen Beschäftigungsformen verstärkt sich angesichts der voranschreitenden räumlichen Entgrenzung der Arbeit. Entsprechend beschleunigend wirkt sich auch der akute Fachkräftemangel aus. Dazu gehört es, dass Arbeitnehmer mobil arbeiten möchten, also an einem Ort, der räumlich grundsätzlich nicht festgelegt ist. Weit verbreitet sind unterdessen die damit in Verbindung stehenden Begriffe "workation" und "bleisure".
Workation setzt sich zusammen aus den Worten "work" und "vacation". Bei diesem Modell verrichten Arbeitnehmer unmittelbar vor dem Beginn bzw. unmittelbar im Anschluss an den Urlaub ihre Arbeit am Urlaubsort. Ähnlich setzen Arbeitnehmer in der Praxis das Modell Bleisure um. Bleisure setzt sich zusammen aus den Worten "business" und "leisure", wobei der Begriff noch weniger konturscharf ist: Hiernach verbinden Arbeitnehmer z. B. eine Dienstreise mit Freizeitaktivitäten oder mit einem anschließenden Urlaubswochenende.
Arbeitgeber sollten sich eingehend mit den zu beachtenden rechtlichen Rahmenbedingungen befassen. Auf Grundlage einer durchgeführten Prüfung lassen sich Prozesse und Strukturen schaffen, um eine temporäre Auslandstätigkeit rechtskonform umzusetzen. Zentrale Weichenstellungen sind die Dauer und der Ort der Tätigkeit. Als Faustformel lässt sich dazu feststellen, dass kurzweilige, temporäre Auslandseinsätze regelmäßig beherrschbare Rechtsfragen aufwerfen. Auch eine Tätigkeit innerhalb der Europäischen Union bzw. innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums ist vor dem Hintergrund von weitgehend harmonisierten Rechtsvorschriften regelmäßig weniger problematisch als eine Tätigkeit in sog. Drittstaaten.
2 Arbeitsrechtliche Aspekte
2.1 Kein (gesetzlicher) Anspruch der Mitarbeiter
Abgesehen von wenigen Ausnahmekonstellationen können Arbeitnehmer aktuell nicht auf Grundlage einer gesetzlichen Regelung beanspruchen, mobil bzw. remote tätig zu sein. Erst recht besteht kein Anspruch, remote aus dem Ausland zu arbeiten.
Vorhaben im Koalitionsvertrag
Der Koalitionsvertrag der Regierungsparteien aus SPD, Bündnis 90 – Die Grünen und FDP v. 24.11.2021 sieht vor: "Mobile Arbeit soll EU-weit unproblematisch möglich sein." Ob und ggf. wie der Gesetzgeber dazu (weitere) gesetzliche Rahmenbedingungen schaffen wird, ist aktuell nicht bekannt.
2.2 Vereinbarung als Grundlage
Die Arbeitsvertragsparteien können die temporäre Auslandstätigkeit auf Basis einer freiwilligen Vereinbarung regeln, z. B. einer Zusatzvereinbarung zum Arbeitsvertrag. Als weitere Rechtsgrundlagen kommen insbesondere tarifvertragliche Regelungen und freiwillige Betriebsvereinbarungen in Betracht.
Zwar hat der Gesetzgeber ein neues Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats zur Ausgestaltung von mobiler Arbeit geschaffen. Dem Mitbestimmungsrecht unterfällt aber nicht die Frage, ob der Arbeitgeber mobile Arbeit (im In- oder Ausland) ermöglicht. Zu dieser Frage hat der Betriebsrat also nicht mitzubestimmen. Mitbestimmungspflichtig ist nur die nähere Ausgestaltung (das "Wie") von mobiler Arbeit. Hiernach kann auch die temporäre, remote aus dem Ausland erbrachte Arbeitsleistung der Mitbestimmung unterliegen. Das Mitbestimmungsrecht begründet als solches indes keinen Anspruch der Arbeitnehmer darauf, temporär aus dem Ausland tätig zu sein.
Möglich ist auch die Anordnung über das Weisungsrecht des Arbeitgebers. Das BAG hat jüngst entschieden, dass Arbeitgeber auf Grundlage des Direktionsrechts Arbeitnehmer an einem Arbeitsplatz in einem anderen Staat versetzen können.
Im Folgenden sollen die rechtlichen Rahmenbedingungen einer solchen Vereinbarung zwischen den Arbeitsvertragsparteien aufgezeigt werden.
2.2.1 Statut des Arbeitsverhältnisses
Erbringen Arbeitnehmer ihre Arbeitsleistungen grenzübergreifend, stellt sich zunächst die Frage, welchem Statut das Arbeitsverhältnis unterliegt, das heißt, welches nationale Recht anwendbar ist. Seit dem 17.12.2009 richtet sich dies für alle EU-Mitgliedstaaten nach der Rom-I-Verordnung als unmittelbar geltendem Unionsrecht.
Anwendbares Recht
Sofern die Arbeitsvertragsparteien keine Rechtswahl getroffen haben, ist das anwendbare Recht nach Art. 8 Abs. 2 bis 4 Rom-I-Verordn...