Leitsatz
Alle Beschlüsse einer Hauptversammlung sind nichtig, wenn die Aktionäre den zeitweiligen Rechtsverlust eines Aktionärs gezielt ausnutzen, um Beschlüsse zu fassen, denen dieser Aktionär nicht zugestimmt hätte.
Sachverhalt
Nach § 20 Abs. 1 AktG hat ein Aktionär, der mehr als 25 % der Aktien einer AG hält, dies der AG unverzüglich mitzuteilen. Nach § 20 Abs. 6 AktG hat sodann die AG die ihr mitgeteilte 25 %-ige Beteiligung unverzüglich in den Gesellschaftsblättern, also zumindest im elektronischen Bundesanzeiger, bekannt zu machen (Beteiligungspublizität). Die Regelung dient dem Zweck, Aktionäre, Gläubiger und die Öffentlichkeit über bestehende oder entstehende Konzernbildungen zu informieren. Solange diese Mitteilungspflichten nicht erfüllt wurden, bestehen nach § 20 Abs. 7 Satz 1 AktG die Rechte aus diesen Aktien nicht (zeitweiliger Rechtsverlust).
So kann z.B. das Teilnahmerecht an der Hauptversammlung und das Stimmrecht bis zur Erfüllung der Pflicht nicht ausgeübt werden. In dem vom BGH entschiedenen Fall hatte der Vorstand einer AG kurzfristig – innerhalb von 1 Tag – eine Hauptversammlung einberufen und dabei bewusst die Ladung eines Aktionärs unterlassen, weil der Vorstand zutreffend davon ausging, dass dieser Aktionär gegen die Mitteilungspflicht nach § 20 AktG verstoßen hatte. Die bei der Hauptversammlung erschienenen Aktionäre verzichteten auf die Einhaltung aller vorgeschriebenen Formen und Fristen.
In seiner Entscheidung kommt der BGH – wie die Vorinstanz – zu dem Ergebnis, dass die gefassten Beschlüsse unwirksam sind, allerdings mit anderer Begründung: Das OLG Schleswig (Urteil v. 31.05.2007, 5 U 177/06) hielt alle Beschlüsse lediglich für anfechtbar, weil die anderen Aktionäre einen "Sondervorteil" nach §§ 243 Abs. 2, 245 Nr. 3 AktG zu erlangen suchten, indem sie den zeitweiligen Rechtsverlust eines Aktionärs gezielt ausnutzten. Der BGH geht einen Schritt weiter: Die heimliche Abhaltung der Hauptversammlung war rechtsmissbräuchlich und damit waren die gefassten Beschlüsse wegen Verstoßes gegen die Einberufungserfordernisse nach § 121 Abs. 4 AktG und der Satzung nicht nur anfechtbar, sondern sogar nichtig.
Hinweis
Der (zeitweilige) Rechtsverlust kann in der Praxis gravierende Folgen für die AG und für den einzelnen Aktionär haben:
- für die AG: Werden bei der Abstimmung die Stimmen des Großaktionärs, der über mehr als 25 % oder mehr als 50 % der Aktien verfügt, fälschlicherweise mitgezählt und kommt nach Abzug seiner Stimmen die erforderliche Mehrheit nicht mehr zustande, ist der jeweilige Beschluss von allen übrigen Aktionären anfechtbar;
- für den Großaktionär: Die Minderheitsaktionäre können in diesen Fällen gegen seinen Willen Beschlüsse fassen, weil er kein Stimmrecht hat. Außerdem ist er wegen des Rechtsverlusts auch nicht berechtigt, Beschlüsse wegen der Verletzung des Gesetzes oder der Satzung (§§ 243 Abs. 1, 245 Nr. 1 und Nr. 2 AktG) anzufechten. Er kann eine Anfechtung grundsätzlich nur darauf stützen, dass durch den Beschluss ein Sondervorteil gewährt wird, der zu seinem Schaden oder zum Schaden der Gesellschaft ist (§ 243 Abs. 2 AktG) oder die Nichtigkeit des Beschlusses nach § 241 AktG geltend machen.
Da dem Aktionär, der seine Rechte zeitweilig verloren hat, nicht alle Anfechtungsrechte zustehen, kann er sich gegen gewisse Beschlüsse nicht mehr wehren. Nutzen die übrigen Aktionäre den zeitweiligen Rechtsverlust hingegen gezielt aus, so nimmt der BGH nunmehr sogar die Nichtigkeit aller Beschlüsse an, um den einzelnen Aktionär vor solchen Rechtsmissbräuchen der übrigen Aktionäre effektiv zu schützen. Dieser Schutz des einzelnen Aktionärs ist zu begrüßen.
Link zur Entscheidung
BGH, Beschluss v. 20.4.2009, II ZR 148/07.