Entscheidungsstichwort (Thema)
Übernahme eines Jugendvertreters
Leitsatz (amtlich)
1) Bei der Prüfung von betrieblichen Bedürfnissen, die eine Übernahme eines Jugendvertreters gem. § 78 a Abs. 4 BetrVG unzumutbar machen, sind Leistungsunterschiede zu anderen Auszubildenden in der Regel nicht zu berücksichtigen. Dies gilt auch dann, wenn sich der Leistungsunterschied nicht (nur) in der Prüfungsnote, sondern auch in einer leistungsbezogenen Verkürzung der Ausbildungszeit ausdrückt.
2) Der Arbeitgeber ist verpflichtet, eine in absehbarer Zeit bevorstehende Beendigung der Ausbildungszeit eines Jugendvertreters bei Einstellungs- und Übernahmeentscheidungen zu berücksichtigen. Dabei kann der maßgebliche Zeitraum jedenfalls dann auch sechs Monate betragen, wenn der Arbeitgeber andere Auszubildende desselben Prüfungsjahrgangs nach vorgezogener Prüfung (sog. „Verkürzer”) aus rein sozialpolitischen Erwägungen übernimmt, ohne dass es dafür einen betrieblichen Bedarf gibt.
Normenkette
BetrVG § 78a
Verfahrensgang
ArbG Erfurt (Beschluss vom 22.08.1995; Aktenzeichen 3 BV 7/95) |
Tenor
Auf die Beschwerden der Beteiligten zu 2) und 4) wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Erfurt vom 22.08.1995 (Az.: 3 BV 7/95) abgeändert.
Der Antrag der Antragstellerin wird zurückgewiesen.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten über die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung eines Mitgliedes der Jugend- und Auszubildendenvertretung nach Beendigung seiner Ausbildung.
Der Antragsgegner wurde von der Antragstellerin in ihrer Niederlassung E. als Kommunikationselektroniker ausgebildet. Er ist Mitglied der Jugend- und Auszubildendenvertretung. Seine Abschlussprüfung bestand er nach dem Ende der regulären Ausbildungszeit am 21.02.1995. Mit ihm zugleich legten in der Niederlassung E. weitere 43 Auszubildende ihre Prüfung zum Kommunikationselektroniker ab. Die Antragstellerin übernahm keinen dieser Ausgebildeten in ein Arbeitsverhältnis.
Mit Schreiben vom 19.01.1995 verlangte der Antragsgegner bei der Antragstellerin seine Weiterbeschäftigung nach Beendigung der Ausbildung.
Im Zuge der Privatisierung der Antragstellerin wurden bereits seit Jahren Unternehmenskonzepte entwickelt, die mit einem gravierenden Personalabbau verbunden waren. Der Vorstand der Antragstellerin beschloss am 17.08.1993, den Personalbestand bis Ende 1998 um mindestens 30 000 Arbeitnehmer zu senken; diese Konzeption wurde gem. Rundschreiben des Vorstands der Antragstellerin vom 10.02.1995 dahingehend fortgeschrieben, dass im Jahre 2000 mit nur noch 170 000 Mitarbeitern 60 000 weniger als derzeit beschäftigt werden können.
Trotz eines generellen Einstellungsstops wurden in den neuen Bundesländern auf Grund eines Vorstandsbeschlusses 1994 150 Kommunikationselektroniker übernommen, für die jedoch kein betrieblicher Bedarf im engeren Sinne bestand. Die Auszubildenden wurden ausdrücklich aus „sozialpolitischen Erwägungen” übernommen. Im Zuge dieser Kontingentierung wurden im August 1994 in E. drei auszubildende Kommunikations-elektroniker übernommen, deren reguläre Ausbildungszeit erst im Februar 1995 (wie die des Antragsgegners) enden sollten, die jedoch auf Grund besonderer Leistung ihre Ausbildungszeit um ein halbes Jahr verkürzen durften (sog. „Verkürzer).
Die Generaldirektion der Antragstellerin schrieb am 13.12.1994 an die Präsidenten der Direktionen der Antragstellerin, dass im Jahr 1995 u. a. 200 Arbeitsplätze für „Ke-Verkürzer (Prüfungsjahrgang 1996)” vorgesehen seien. Nach einem mit Rundschreiben vom 26.05.1995 versandten Verteilerschlüssel waren der Niederlassung E. insoweit 20 Stellen zugeteilt worden.
Die Antragstellerin hat in dem am 02.03.1995 beim Arbeitsgericht eingehenden Antragsschreiben die Auffassung vertreten, die Weiterbeschäftigung des Antragsgegners könne ihr nach § 78 a Abs. 4 Nr. 2 BetrVG nicht zugemutet werden. Wenn es dem Arbeitgeber nach der Rechtsprechung unzumutbar sei, Auszubildende weiterzubeschäftigen, falls zum Zeitpunkt der Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses keine freien Arbeitsplätze vorhanden seien, gelte dies auch für die Situation der Antragstellerin. § 78 a BetrVG verpflichte einen Arbeitgeber nicht dazu, neue Arbeitsplätze zu schaffen. § 78 a BetrVG schütze lediglich vor einer Ungleichbehandlung; da aber seitens der Antragstellerin ein allgemeiner, auf eindeutig bestimmten und objektiv nachprüfbaren Maßstäben berufende Einstellungsstop ergangen sei, seien alle Beschäftigten in gleicher Weise von der Maßnahme betroffen, ohne dass eine Benachteiligung von Mitgliedern der Jugend- und Auszubildendenvertretung zu befürchten sei. Wegen weiterer Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens der Antragstellerin wird auf Bl. 1 – 33 d. A. verwiesen.
Die Antragstellerin hat beantragt,
das Arbeitsverhältnis mit dem Antragsgegner aufzulösen.
Der Antragsgegner und die Beteiligten zu 3) und 4) haben beantragt,
den Antrag der Antragstellerin abzuweisen.
Die Beteiligten zu 2) – 4) halten die Weiterbeschäftigung des Antragsgegners für die Antragstellerin zumutbar. E...