Entscheidungsstichwort (Thema)

Erstattungsfähigkeit von Anwaltsgebühren bei Berufungsrücknahme

 

Leitsatz (amtlich)

1. Auch bei Zustellung einer „lediglich zur Fristwahrung” eingelegten Berufung hat der Berufungsbeklagte das Recht, einen Anwalt seines Vertrauens mit der Vertretung in der Berufungsinstanz zu betrauen. Die aus der Tätigkeit dieses Anwalts gem. § 31 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 11 Abs. 1 Satz 4 BRAGO entstehende volle Prozessgebühr ist vom Berufungskläger gem. § 515 Abs. 3 Satz 1 ZPO zu erstatten, wenn er die Berufung zurücknimmt.

2. Die entstandene volle Prozessgebühr ermäßigt sich gem. § 32 Abs. 1 BRAGO auf die Hälfte, wenn die Berufung zurückgenommen wird, bevor der Vertreter des Berufungsbeklagten einen Schriftsatz mit einem Sachantrag eingereicht hat oder für seine Partei einen Termin wahrgenommen hat. Die bloße Vertretungs- und Verteidigungsanzeige stellt keinen Sachantrag i. S. d. § 32 Abs. 1 BRAGO dar.

3. Stellt der Vertreter des Berufungsbeklagten einen Sachantrag vor Berufungsrücknahme, ist die an sich entstandene volle Prozessgebühr ebenfalls nur zur Hälfte erstattungsfähig, wenn zum Zeitpunkt der Einreichung des Sachantrages die Berufungsbegründung noch nicht vorliegt. Denn dann handelt es sich um einen überflüssigen, lediglich aus Kosteninteressen gestellten Antrag, der nicht als zweckentsprechende Rechtsverteidigung und damit nicht als „notwendig” i. S. d. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO angesehen werden kann.

 

Normenkette

ZPO § 515; BRAGO §§ 31-32; ZPO § 91

 

Verfahrensgang

ArbG Gotha (Beschluss vom 11.10.2000; Aktenzeichen 3 Ca 149/2000)

 

Tenor

wird der Kostenfestsetzungsbeschluß der Rechtspflegerin beim Arbeitsgericht Gotha vom 11.10.2000 unter Zurückweisung der Beschwerde im übrigen insoweit aufgehoben, als zugunsten der Beschwerdegegnerin ein Betrag von mehr als DM 1.108,84 festgesetzt worden ist.

Hinsichtlich des darüber hinausgehenden Betrages wird der Antrag auf Festsetzung der Kosten vom 20.09.2000 zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf DM 2.170,00 festgesetzt.

 

Tatbestand

I

Gegen das die Klage abweisende Urteil des Arbeitsgericht Gotha vom 06. Juni 2000, das ihrem Prozeßbevollmächtigten am 09.06.2000 zugestellt worden war, legte die Klägerin mit Schriftsatz ihres Prozeßbevollmächtigten vom 05.07.2000, der am 06.07.2000 beim Berufungsgericht einging, Berufung ein und wies darauf hin, daß die Einlegung der Berufung zunächst nur fristwahrend erfolgen sollte.

In einem außergerichtlichen Schreiben vom gleichen Tag an die Prozeßbevollmächtigte der Beklagten bat der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin „kolegialiter”, sich zunächst nicht zur Akte zu melden, und kündigte rechtzeitige Information für den Fall an, daß die Berufung durchgeführt werden sollte.

Der Berufungsschriftsatz wurde der Beklagtenvertreterin am 18.07.2000 zugestellt.

Mit Schriftsatz vom 02.08.2000, der am gleichen Tag beim Berufungsgericht einging, beantragte der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin die einmonatige Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist wegen Arbeitsüberlastung.

Mit Schriftsatz vom gleichen Tag an die Prozeßbevollmächtigte der Beklagten bat er, vor Zustellung der Berufungsbegründung keine kostenauslösende Maßnahme einzuleiten.

Die begehrte Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist wurde mit Verfügung des Kammervorsitzenden vom 03.08.2000 gewährt.

Mit Schriftsatz vom 21.08.2000, beim Berufungsgericht eingegangen am gleichen Tag, beantragte die Prozeßbevollmächtigte der Beklagten, die Berufung zurückzuweisen und der Berufungsklägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Mit dem am 29.08.2000 beim Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz vom 28.08.2000 nahm der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin die Berufung zurück. Dieser Schriftsatz wurde der Prozeßbevollmächtigten der Beklagten am 30.08.2000 zugestellt.

Mit Schriftsatz vom 04.09.2000 beantragte die Prozeßbevollmächtigte des Beklagten, die Kosten des Berufungsverfahrens der Berufungsklägerin nach § 515 Abs. 3 ZPO aufzuerlegen.

Mit Beschluß des Kammervorsitzenden vom 06.09.2000 wurde dieser Beschluß erlassen. Mit Beschluß vom 15.09.2000 wurde der Kostenstreitwert für die Berufungsinstanz auf DM 51.389,90 festgesetzt.

Mit Schriftsatz vom 20.09.2000 beantragte die Prozeßbevollmächtigte der Beklagten die Festsetzung der Kosten des Rechtsmittelverfahrens gegen die Klägerin, und zwar 13/10-Gebühr nach §§ 11, 31 Abs. 1 S. 1 BRAGO in Höhe von DM 1.831,10 zuzüglich Pauschale nach § 26 BRAGO und Mehrwertsteuer.

Nach Anhörung der Klägerin setzte die Rechtspflegerin mit Beschluß vom 11.10.2000 die Kosten wie beantragt fest.

Gegen diesen ihm am 18.10.2000 zugestellten Beschluß legte der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin mit dem am 01.11.2000 beim Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz vom gleichen Tag sofortige Beschwerde ein und trug zur Begründung vor, es entspräche der ständigen Rechtsprechung der Oberlandesgerichte und auch der Landesarbeitsgerichte, daß der Gegner bei einem zunächst nur zur Fris...

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