Entscheidungsstichwort (Thema)
Unzulässige Berufung bei verspätetem Zugang einer an das Arbeitsgericht adressierten Berufungsschrift. Versagung der Wiedereinsetzung von Amts wegen bei schuldhafter Versäumung der Berufungsfrist infolge Falschadressierung und schnellstmöglicher Weiterleitung an das zuständige Landesarbeitsgericht
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein bei einer gemeinsamen Einlaufstelle mehrerer Gerichte eingehender Schriftsatz gerät nur in die Verfügungsgewalt des Gerichtes, an das der Schriftsatz adressiert ist.
2. Wer einen Schriftsatz unterzeichnet, bestimmt, was mit ihm geschehen und wohin das Schriftstück gesendet werden soll. Auch bei einer Rechtsmittelschrift handelt es sich nicht automatisch um einen Schriftsatz an denjenigen, den es tatsächlich angeht und der zuständig ist.
3. Ist ein fristgebundener Schriftsatz beim zuständigen Landesarbeitsgericht nicht rechtzeitig eingegangen und beruht dieser Umstand in erster Linie und entscheidend darauf, dass dieser an das Arbeitsgericht und nicht an das Landesarbeitsgericht adressiert gewesen ist sowie darauf, dass die Telefaxnummer des Arbeitsgerichtes und nicht die des Landesarbeitsgerichtes verwendet worden ist, hat dieses Versäumnis der Prozessbevollmächtigte der Partei zu vertreten. Wer einen Rechtsmittelschriftsatz unterzeichnet, hat sich davon zu überzeugen, dass dieser an das zuständige Gericht gerichtet ist.
4. Geht ein an das Arbeitsgericht adressierter Berufungsschriftsatz nicht so zeitig beim Arbeitsgericht ein, dass mit einer Weiterleitung im ordnungsgemäßen Geschäftsgang noch am selben Tage und somit innerhalb der Berufungsfrist gerechnet werden kann, wird der durch die Falschadressierung bedingte Ursachenzusammenhang nicht durch ein Verhalten des Gerichtes unterbrochen. Eine unverschuldete Fristversäumnis scheidet damit aus.
5. Geht ein fristgebundener Schriftsatze beim unzuständigen Gericht eine Stunde vor Ende der üblichen Geschäftszeit ein, ist dieser Zugang nicht so zeitig, dass bei ordnungsgemäßem Geschäftsgang mit der Weiterleitung innerhalb der Berufungsfrist und mithin am selben Tage gerechnet werden darf. Bei so knapper Einlegung des Rechtsmittels besteht kein Anlass, sich darauf verlassen zu können, dass ein Irrtum bemerkt und noch rechtzeitig korrigiert werden kann.
6. Auch wenn das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht auf demselben Stockwerk eines Justizzentrums untergebracht sind, bedeutet dieser Umstand nicht, dass, wenn gegen Ende der Geschäftszeit beim Arbeitsgericht eine Kontrolle des Faxeingangs stattfindet, noch vor Ende der Geschäftszeit beim Landesarbeitsgericht gehandelt werden kann. Der ordnungsgemäße Geschäftsgang sieht vor, dass jeder eingehende Schriftsatz in irgendeiner Form zunächst beim Eingangsgericht erfasst und registriert wird.
7. Erst wenn der fristgebundene Schriftsatz beim Eingangsgericht erfasst und registriert ist, kann vom zuständigen Rechtspflegeorgan eine Entscheidung über eine etwa notwendige Weiterleitung getroffen werden. Angesichts dieser Umstände ist eine maximal zur Verfügung stehende Stunde nicht ausreichend, um von einer rechtzeitigen Weiterleitung noch an diesem Tage ausgehen zu dürfen.
Normenkette
ArbGG § 66 Abs. 1; ZPO § 85 Abs. 2, § 234 Abs. 3, § 236 Abs. 2 S. 2 Hs. 2
Verfahrensgang
ArbG Erfurt (Entscheidung vom 12.06.2015; Aktenzeichen 8 Ca 2716/14) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Erfurt vom 12.06.2015 - 8 Ca 2716/14 - wird unter Zurückweisung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist auf seine Kosten als unzulässig verworfen.
Die Revisionsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Parteien streiten in der Hauptsache über einen Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf Zahlung von Nachtarbeitszuschlägen.
Mit Urteil vom 12.06.2015 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Dieses Urteil ist dem Kläger am 10.07.2015 zugestellt worden. Am 10.08.2015 ist ein Schriftsatz des Klägers, der in der Überschrift als "Berufung" bezeichnet worden ist, an das Arbeitsgericht Erfurt unter dessen Telefax.-Nr. 0361-3776395 per Telefax eingegangen. Diesen Schriftsatz hat das Arbeitsgericht am 11.08.2015 formlos an das Thüringer Landesarbeitsgericht weitergeleitet. Am Abend des 10.08.2015 hat der Klägervertreter das Original des Schriftsatzes in den Nachtbriefkasten beim Justizzentrum Erfurt eingeworfen. Der Nachtbriefkasten enthält eine gemeinsame Posteingangseinrichtung sowohl für das Arbeitsgericht als auch für das Landesarbeitsgericht und andere Justizbehörden. Mit Schreiben vom 12.08.2015 hat das Landesarbeitsgericht darauf hingewiesen, dass die als Berufung gekennzeichnete Schrift beim Arbeitsgericht Erfurt eingegangen sei, dem Landesarbeitsgericht am 11.08.2015 formlos übergeben worden sei und diese zunächst an das Arbeitsgericht zurückgegeben werde.
Mit Schriftsatz vom 14.08.2015 hat der Klägervertreter klargestellt, dass der Berufungssch...