Entscheidungsstichwort (Thema)
Unangemessene Benachteiligung durch formularmäßigen Klageverzicht im Aufhebungsvertrag. Widerrechtliche Kündigungsandrohung als Anfechtungsgrund. Beendigungszeitpunkt des Arbeitsverhältbisses bei dessen gerichtlicher Auflösung. Gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen angemessene Abfindung nach pflichtgemäßem Ermessen
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein formularmäßiger Klageverzicht in einem Aufhebungsvertrag benachteiligt den Arbeitnehmer unangemessen, wenn der Vertrag zur Vermeidung einer vom Arbeitgeber angedrohten außerordentlichen Kündigung geschlossen wird. Diese Drohung stellt sich als widerrechtlich dar, wenn ein verständiger Arbeitgeber die angedrohte Kündigung nicht ernsthaft in Erwägung ziehen durfte.
2. Stellt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine Kündigung als beabsichtigte und bereits vorbereitete Maßnahme zur Vertragsbeendigung in Aussicht, falls der Arbeitnehmer nicht bereit sei, einen Aufhebungsvertrag zu unterzeichnen, stellt dies die Ankündigung eines zukünftigen empfindlichen Übels dar und berechtigt den Arbeitnehmer zur Anfechtung des Aufhebungsvertrages.
3. Die gerichtliche Auflösung eines Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung wirkt auf den Zeitpunkt, zu dem das Arbeitsverhältnis bei sozial gerechtfertigter Kündigung geendet hätte.
4. Die Festsetzung der Abfindungssumme durch das Gericht muss pflichtgemäßem Ermessen entsprechen. Dabei sind die Gesamtumstände des Einzelfalles zu beachten unter besonderer Berücksichtigung der Umstände, die zum Streit über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses geführt haben.
Normenkette
BGB §§ 123, 124 Abs. 1, § 143 Abs. 1, § 307 Abs. 1, 2 Nr. 1; KSchG §§ 9-10
Verfahrensgang
ArbG Gera (Entscheidung vom 03.11.2016; Aktenzeichen 4 Ca 162/16) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Gera vom 03.11.2016 - 4 Ca 162/16 - wird zurückgewiesen.
Auf Antrag des Klägers wird das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von 20.000,00 € brutto zum 31.12.2016 aufgelöst.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Wirksamkeit eines Aufhebungsvertrages und einer hilfsweise ordentlichen Kündigung. Zuletzt begehrt er die Auflösung seines Arbeitsverhältnisses.
Der am 03.07.1964 geborene, verheiratete Kläger ist bei der Beklagten seit 1997, zuletzt als Leiter des Gastronomiebereichs zu 2.450,00 Euro brutto, angestellt. Die Beklagte betreibt ein Seniorenheim. Neben der Versorgung mit regelmäßigen Mahlzeiten bietet sie den Senioren und deren Gästen regelmäßig u.a. Kaffee und Kuchen an. Die hierfür von allen Mitarbeitern des Gastronomiebereichs vereinnahmten Kleinbeträge wurden in eine für sie alle frei zugängliche Kasse eingelegt. Über die Kassenführungspflichten und die Kenntnis der Heimleitung von der tatsächlichen Kassenführung besteht zwischen den Parteien Streit.
Am 01.02.2016 sprach die seit einiger Zeit neu eingesetzte Heimleiterin Frau ... den Kläger darauf an, dass die Handhabung der Kasse "intransparent" sei. Der Kläger erläuterte diese. Man erörterte Verbesserungen. Konkrete Weisungen für die künftige Kassenführung sind streitig.
Zwei Tage vor dem 19.05.2016 prüfte die Beklagte die Kasse in Abwesenheit des Klägers. Sie erkannte für sich einen "Kassenfehlbestand" und "Manipulationen". Zu einem von ihr nicht mehr zu benennenden Zeitpunkt fertigte sie eine Aufstellung "Einnahmen Küche Besucher Foyer und Speiseraum Zeitraum 01.12.2015 - 02.04.2016" (Anl. B1, Bl. 133 d. A.). Hierzu befragte sie Senioren der Einrichtung und deren Angehörige zu deren Erinnerungen an Ausgaben u.a. für Kaffee und Kuchen in den letzten vier Monaten. Sie errechnete für vier Tage, an denen der Kläger an zwei Tagen dienstfrei hatte, Soll-Einnahmen von 358,00 Euro.
Am 19.05.2016 baten die Frau ... und die Pflegedienstleiterin Frau ... den Kläger zu einem Gespräch, in dem er zunächst die Kasse abrechnen sollte. Die fehlenden Belege für Einnahmen begründete er mit der bereits am 01.02.2016 geschilderten Kassenführung, wonach die Kleinbeträge von allen Mitarbeitern des Gastronomiebereichs ohne Quittung eingenommen und auch nicht Tag genau abgerechnet würden. Die Beklagte verwies auf ihre Aufstellung "Einnahmen Küche", wonach ein Kassensollbestand von 358,00 Euro einem Kassenistbestand von nur 122,50 Euro gegenüberstehe. Ob sie ihm nur die Differenz von 235,50 Euro oder auf der Grundlage einer geschätzten monatlichen Differenz von je 200,00 Euro einen auf die gesamte Zeit seiner Arbeitsverhältnisses hochgerechneten Betrag von 43.000,00 Euro vorhielten, ist ebenso streitig, wie Hinweise des Klägers auf die belegten Ausgaben und regelmäßig an die - alte wie neue - Heimleitung weitergeleitete Überschüsse. Die Beklagte erklärte, dass "ein strafrechtlicher Verdacht aufgeworfenen sei, der aber von der Polizei und nicht von ihr zu prüfen sei". Es ist streitig, ob sie ihm Bedenkzeit oder die Gelegenheit für Telef...