Entscheidungsstichwort (Thema)

Persönlicher Geltungsbereich des § 6c Abs. 3 Satz 3 SGB II. Eindeutige gesetzgeberische Zielsetzung des § 6c Abs. 3 Satz 3 SGB II. Verfassungsmäßigkeit des § 6c SGB II. Abwägung zwischen der Freiheit der Arbeitsplatzwahl und den gerechtfertigten Interessen des Gemeinwohls

 

Leitsatz (redaktionell)

Der durch § 6c Abs. 1 Satz 1 SGB II bewirkte Eingriff in die Freiheit der Arbeitsplatzwahl (Art. 12 Abs. 1 GG) der betroffenen Arbeitnehmer ist durch vernünftige Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt. Er ist auch verhältnismäßig und zum Erreichen des Ziels geeignet, dem kommunalen Träger eine sachgerechte Erfüllung der Aufgaben der Grundsicherung für Arbeitssuchende unmittelbar nach seiner Zulassung zu ermöglichen, und hierfür auch erforderlich.

 

Orientierungssatz

Orientierungssatz:

1. Die Regelung des § 6c Abs 3 S 3 SGB 2 unterscheidet nicht zwischen gewerkschaftsangehörigen und nichtgewerkschaftsangehörigen Arbeitnehmern und gilt insofern für alle vom Übergang ihres Arbeitsverhältnisses Betroffenen.

2. Ein Normverständnis dahingehend, § 6c Abs 3 S 3 SGB 2 stehe einer Weitergeltung der arbeitsvertraglich in Bezug genommenen Tarifverträge (hier: der Bundesagentur für Arbeit) im Arbeitsverhältnis der Parteien nicht entgegen, steht in Widerspruch zu dem eindeutigen Wortlaut und dem gesetzgeberischen Willen und kann deshalb nicht im Wege verfassungskonformer Auslegung begründet werden.

3. Der in § 6c Abs 1 S 1 SGB 2 gesetzlich angeordnete Wechsel des Arbeitgebers und der damit nach § 6c Abs 3 S 1 SGB 2 verbundene Tarifwechsel sind verfassungsgemäß. Die Regelung verstößt weder gegen Art 12 Abs 1 GG noch gegen Art 2 Abs 1 GG.

 

Normenkette

TV-BA; TVöD; SGB II § 6c Abs. 1 S. 1, Abs. 3 S. 3; GG Art. 12 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1; ZPO § 533 Nr. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Suhl (Entscheidung vom 06.07.2015; Aktenzeichen 5 Ca 247/15)

 

Tenor

1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Suhl vom 06.07.2015 - 5 Ca 247/15 - abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Berufung der Klägerin wird unter Abweisung der Klageerweiterungen zurückgewiesen.

3. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtstreits zu tragen.

4. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Anwendung des Tarifvertrages für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Bundesagentur für Arbeit (TV-BA) und insbesondere darüber, ob die Klägerin nach dem TV-BA zu vergüten ist.

Die Klägerin, die keiner Gewerkschaft angehört, stand seit dem 02. Mai 2006 in einem Arbeitsverhältnis zur Bundesagentur für Arbeit (BA). Kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung vom 24. Juni 2008 (Bl. 18 f. d. A.) bestimmte sich dieses Arbeitsverhältnis nach dem TV-BA und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen in der jeweils geltenden Fassung. Die Klägerin war aufgrund der Tätigkeitsübertragung mit Schreiben vom 31. Juli 2006 (Bl. 20 d. A.) ab 01. August 2006 als "Sachbearbeiterin in der Bearbeitungsstelle SGG im Bereich SGB II in der ...." beschäftigt. Mit Wirkung zum 01. Juli 2008 wurde ihr mit Schreiben vom 24.06.2018 (Bl. 21 f. d. A.) die Tätigkeit "Sachbearbeiterin in der Bearbeitungsstelle SGG im Bereich SGB II in der Agentur für Arbeit ... (in der Geschäftsstelle ...... SGB II)" übertragen. Ab dem 01. Januar 2012 übernahm der Beklagte die Aufgaben der BA als Träger der Grundsicherung im Landkreis ....... Die BA teilte der Klägerin mit Schreiben vom 06. Dezember 2011 (Bl. 27 f. d. A.) mit, ihr Arbeitsverhältnis sei aufgrund des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Organisation der Grundsicherung für Arbeitssuchende vom 03. August 2010 auf den Beklagten übergegangen.

Die Klägerin wurde bis zum Zeitpunkt des Übergangs gem. § 20 TV-BA nach Tätigkeitsebene IV Entwicklungsstufe 3 mit einer Funktionsstufe 2 vergütet. Ein der Klägerin vom Beklagten unterbreitetes Vertragsangebot zum Abschluss eines schriftlichen Arbeitsvertrages nahm die Klägerin nicht an. Der Beklagte zahlte der Klägerin ab 01. Januar 2012 zunächst Vergütung nach Entgeltgruppe 8 Stufe 3 TVöD nebst einer Ausgleichszulage in Höhe der Differenz zu der im Zeitpunkt des Übertritts bei der Bundesagentur für Arbeit erhaltenen Vergütung nach dem TV-BA. Ab dem 11. März 2013 erhielt die Klägerin rückwirkend zum 01. Januar 2012 Vergütung nach Entgeltgruppe 9 Stufe 5 TVöD.

Die Klägerin hat mit ihrer am 17. Februar 2015 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage die Anwendung des TV-BA ab dem 01. Januar 2012, eine Eingruppierung nach Tätigkeitsebene IV Entwicklungsstufe 3 bis einschließlich Mai 2013, Entwicklungsstufe 4 ab Juni 2013 jeweils nebst Funktionsstufe 2 gem. § 20 TV-BA sowie die Zahlung der Vergütungsdifferenz i.H.v. 8.860,69 EUR brutto für den Zeitraum von Januar 2012 bis Januar 2015 einschließlich der Differenz zur Jahressonderzahlung, sowie darüber hinaus die Zahlung eines Zuschusses zum Mutterschaftsgeld i.H.v. 872,96 EUR netto geltend gemacht.

Wegen des erstinstanzlichen Vortrags der Parteien und der gestellten Anträge wird auf den Tatbestand der angefochtene...

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