Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegung des Arbeitsvertrags bei nicht eindeutiger Regelung der Kündigungsfristen. Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen. Anwendung der Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB bei zwei rechtlich vertretbaren Auslegungsergebnissen
Leitsatz (amtlich)
1. Wird in einem vom Arbeitgeber vorformulierten Arbeitsvertrag in einer Klausel eine Probezeit und in einer anderen Klausel eine Kündigungsfrist festgelegt, ohne dass unmissverständlich deutlich wird, dass diese ausdrücklich genannte Frist erst nach dem Ende der Probezeit gelten soll, ist dies von einem durchschnittlichen Arbeitnehmer regelmäßig dahin zu verstehen, dass der Arbeitgeber schon von Beginn des Arbeitsverhältnisses an nur mit dieser Kündigungsfrist, nicht aber mit der zweiwöchigen Kündigungsfrist des § 622 Abs. 3 BGB kündigen kann (BAG 23.03.2017 - 6 AZR 705/15).
2. Sofern zumindest zwei Auslegungsergebnisse rechtlich vertretbar sind, kommt die sich zu Lasten des Klauselverwenders auswirkende Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB zur Anwendung. Dies gilt auch dann, wenn die Vertragsgestaltung uneindeutig ist und beide Auslegungsergebnisse denkbar sind und interessengerecht erscheinen.
Leitsatz (redaktionell)
Der Inhalt Allgemeiner Geschäftsbedingungen ist nach einem objektiv-generalisierenden Maßstab zu ermitteln. Allgemeine Geschäftsbedingungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden. Dabei sind die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen.
Normenkette
BGB § 305c Abs. 2, § 307 Abs. 2, § 622 Abs. 3; KSchG § 1 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Suhl (Entscheidung vom 19.10.2021; Aktenzeichen 1 Ca 317/21) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Suhl vom 19.10.2021 - Az. 1 Ca 317/21 - abgeändert und festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 02.03.2021 nicht zum 16.03.2021, sondern erst zum 31.12.2021 endete.
2. Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz trägt die Beklagte.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die auf das Arbeitsverhältnis anwendbare Kündigungsfrist und in diesem Zusammenhang über den Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
Die Klägerin war bei der Beklagten, die ca. 2.500 Mitarbeiter beschäftigt, als Personalleiterin mit einem durchschnittlichen monatlichen Gehalt von 5.525,00 € brutto beschäftigt.
Der Arbeitsvertrag vom 01.09.2020 (Bl. 4 ff. der Akte) lautet auszugsweise wie folgt:
"§ 1
Aufgaben und Pflichten
(1) Die Dienstnehmerin tritt zum 07.09.2020 als Personalleiterin in die o. g. Gesellschaft ein. In ihrer Funktion ist die Dienstnehmerin der Geschäftsführung unmittelbar unterstellt.
(2) Die Probezeit beträgt 6 Monate.
... § 12
Vertragsdauer und Kündigung
(1) Der Vertrag beginnt am 07.09.2020 und wird auf unbestimmte Zeit geschlossen.
(2) Der Vertrag kann von beiden Seiten mit einer Frist von 6 Monaten zum Ende eines Kalenderhalbjahres gekündigt werden.
(3) Eine ordentliche Kündigung vor Vertragsbeginn ist für beide Parteien ausgeschlossen.
..."
Mit Schreiben vom 02.03.2021 (Bl. 10 der Akte), der Klägerin am selben Tag zugegangen, sprach die Beklagte innerhalb der Probezeit eine ordentliche Kündigung zum 16.03.2021 aus.
Mit ihrer am 23.03.2021 beim Arbeitsgericht Suhl eingegangenen Klage hat sich die Klägerin gegen die Kündigung zur Wehr gesetzt.
Unter Hinweis auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 23.03.2017 (6 AZR 705/15) hat die Klägerin die Auffassung vertreten, das Arbeitsverhältnis habe nicht zum 16.03.2021, sondern erst zum 31.12.2021 sein Ende gefunden. Die in § 12 des Arbeitsvertrages vereinbarte sechsmonatige Kündigungsfrist zum Ende des Kalenderhalbjahres gelte auch für eine Kündigung innerhalb der Probezeit.
Die Klägerin hat beantragt
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 02.03.2021 nicht zum 16.03.2021 endete, sondern bis zum 31.12.2021 fortbesteht.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, dass innerhalb der Probezeit die gesetzliche Kündigungsfrist gemäß § 622 Abs. 3 BGB gelte. Die im Arbeitsvertrag vereinbarte Frist von sechs Monaten zum Ende des Kalenderhalbjahres greife erst nach Ablauf der vereinbarten Probezeit.
Mit Urteil vom 19.10.2021 (Bl. 120 ff. der Akte) hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, zwar handele es sich bei dem streitgegenständlichen Vertragswerk um allgemeine Geschäftsbedingungen, die nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn auszulegen seien. Nach dem Wortlaut sei die Regelung auch nicht eindeutig, da eine Kündigungsfrist für eine Kündigung innerhalb der Probezeit nicht, jedenfalls nicht ausdrücklich bestimmt worden sei. Im Zweifel sei jedoch nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen das "Vernünftige" gewollt...