Entscheidungsstichwort (Thema)
Konkludentes Verhalten als Grundlage arbeitsvertraglicher Ansprüche. Auslegung einer Willenserklärung
Leitsatz (redaktionell)
1. Den Arbeitsvertragsparteien ist es erlaubt, mündlich oder sogar durch entsprechende Handhabung konkludent ergänzende, die Arbeitnehmer begünstigende Vereinbarungen zur Vergütung zu treffen. Wegen Vorrangs der Individualabrede (§ 305b BGB) steht einer solchen konkludenten Vereinbarung auch nicht eine möglicherweise im Arbeitsvertrag enthaltene sog. doppelte Schriftformklausel entgegen.
2. Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist nicht allein der wirkliche Wille des Erklärenden zu erforschen. Maßgeblich ist aus Gründen des Verkehrsschutzes vielmehr der sogenannte objektive Empfängerhorizont. Danach ist einer Erklärung diejenige Bedeutung beizumessen, die ein objektiver Dritter in der Situation des Erklärungsempfängers verstehen durfte. Danach ist der wirkliche Wille der Vertragsparteien zu erforschen und der Inhalt der Vereinbarung so auszulegen, wie Treu und Glauben es mit Rücksicht auf die Verkehrssitte erfordern. Dabei ist vom Wortlaut der Erklärung auszugehen. Zur Ermittlung des wirklichen Willens der Parteien sind jedoch auch die außerhalb der Vereinbarung liegenden Umstände einzubeziehen, soweit sie einen Schluss auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen.
Normenkette
BGB §§ 133, 157, 305b
Verfahrensgang
ArbG Gera (Entscheidung vom 03.09.2020; Aktenzeichen 2 Ca 56/20) |
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Gera vom 03.09.2020 - 2 Ca 56/20 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Vergütung von Fahrtzeiten im Zeitraum Oktober 2016 bis November 2019.
Der Kläger war aufgrund Arbeitsvertrages vom 03.09.2004 (Bl. 5 ff. d.A.) vom 06.09.2004 bis zum 30.06.2020 als Tischler/Monteur zu einem Bruttostundenlohn von zuletzt 13,00 € mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden bei der Beklagten beschäftigt. In § 17 des Arbeitsvertrages ist bestimmt, dass Änderungen des Vertrages der Schriftform bedürfen und auch die Abweichung von diesem Schriftformerfordernis nur schriftlich erfolgen kann.
Der Kläger war - ebenso wie die übrigen Mitarbeiter der Beklagten - regelmäßig auf Montage auf auswärtigen Baustellen beschäftigt. Am Beginn der Arbeitswoche fahren die Mitarbeiter in der Regel zu zweit mit einem Firmenfahrzeug auf die Baustelle und kehren am Ende der Arbeitswoche zurück.
Bis Ende März 2005 wurden Fahrtzeiten zu 100 % als Arbeitszeit vergütet. Auf einer Betriebsversammlung am 08.04.2005 wurde unter anderem über Einsparmaßnahmen ab 01.04.2005 gesprochen. Ausweislich des Protokolls (Bl. 38 d. A.) sollten ab April Fahrtzeiten zur Baustelle und zurück nur noch zu 50 % erstattet werden. Ausweislich eines handschriftlichen Vermerks auf dem Protokoll sollte diese Regelung befristet im Jahr 2005 gelten. Am Ende des Protokolls unter der Überschrift "Kenntnisnahme der Mitarbeiter" befindet sich auch die Unterschrift des Klägers.
Am 05.05.2006 fand eine weitere Betriebsversammlung statt. Das entsprechende Protokoll (Bl. 40 d. A.) lautet auszugsweise wie folgt:
"4. Neuregelungen zum Arbeitsvertrag ab Mai 2006
...
- Die Fahrzeitregelung, die am 08.04.2005 beschlossen wurde, bleibt bis auf unbestimmte Zeit bestehen, die An- und Abfahrt zur Baustelle, außer Baustellenwechsel, werden weiterhin nur zu 50 % bezahlt"
Das Protokoll der Betriebsversammlung vom 05.05.2006 wurde sowohl vom Kläger als auch vom Geschäftsführer der Beklagten unterzeichnet.
Von April 2005 bis Dezember 2019 vergütete die Beklagte die Fahrtzeiten des Klägers mit der Hälfte des vereinbarten Stundenlohns. Im streitgegenständlichen Zeitraum Oktober 2016 bis November 2019 fielen insgesamt 985,5 Stunden Fahrzeit an.
Mit Schreiben vom 02.12.2019 (Bl. 11 d. A.) machte der Kläger für den Zeitraum Oktober 2016 bis November 2019 weitere Vergütungsansprüche und eine Stundengutschrift für Fahrtzeiten geltend. Von den angefallenen Fahrtzeiten seien lediglich 497 Stunden vergütet worden, so dass eine Differenz von 488,50 Stunden verbleibe. Die Beklagte schulde Zahlung in Höhe von 4.686,51 € brutto sowie eine Stundengutschrift von 94,5 Stunden. Mit Schreiben vom 05.12.2019 (Bl. 19 d. A.) wies die Beklagte die Forderungen des Klägers zurück. Zwar seien die Fahrtzeiten von Oktober 2016 bis November 2019 unstreitig angefallen. Entsprechend der zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarung seien die Fahrtzeiten jedoch nur mit 50 % der jeweiligen Stundenvergütung zu vergüten gewesen.
Mit seiner am 05.02.2020 beim Arbeitsgericht Gera eingegangenen und der Beklagten am 14.02.2020 zugestellten Klage hat der Kläger restliche Bezahlung sowie eine Stundengutschrift von 94,5 Stunden für die Fahrtzeiten im streitgegenständlichen Zeitraum gefordert.
Der Kläger hat erstinstanzlich die Auffassung vertreten, eine ausdrückliche Zustimmung des Klägers zu einem Änderungsvertrag habe es nicht gegeben. Die bloße Kenntnisnahme von einem P...