Leitsatz (amtlich)
Fristlose Kündigung eines Rettungssanitäters nach angeblicher Weigerung, außerhalb der Arbeitszeit einen Einsatz zu fahren.
Verfahrensgang
ArbG Gotha (Urteil vom 01.03.2000; Aktenzeichen 1 Ca 1802/99) |
Tenor
1) Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Gotha vom 01.03.2000, Az.: 1 Ca 1802/99, wird zurückgewiesen.
2) Der vom Beklagten gestellte Auflösungsantrag wird zurückgewiesen.
3) Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
4) Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Parteien ist die Rechtswirksamkeit einer vom Beklagten ausgesprochenen außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung streitig.
Der Kläger ist beim Beklagten seit dem 01.04.1985 als Rettungssanitäter beschäftigt.
Der Beklagte hat das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 19.10.1999, dem Kläger zugegangen am gleichen Tage, fristlos, hilfsweise ordentlich zum 30.06.2000 gekündigt.
Wegen der Unterrichtung des Betriebsrats wird auf die dem Betriebsrat mit Schreiben vom 05.10.1999 (Bl. 59 d. A.) und 13.10.1999 (Bl. 60 – 63 d. A.) mitgeteilten Gründe Bezug genommen. Der Betriebsrat hat der Kündigung widersprochen.
Die Begründung des Kündigungsschreiben vom 19.10.1999 lautet (Bl. 5 d. A.):
Sie haben am 28.09.1999 um 16.36 Uhr Kenntnis von einem schweren Verkehrsunfall mit 3 eingeklemmten Personen erhalten. Die entsprechende Alarmierung ist über die zuständige Rettungsleitstelle erfolgt. Zum Zeitpunkt der Alarmierung waren Sie in der Rettungswache I. anwesend und erreichbar. Trotz Ihrer Erreichbarkeit und der Kenntnisnahme von dem Notfall mit eingeklemmten Personen haben Sie keinerlei Reaktionen unternommen. Wir sehen darin ein unverantwortliches und nicht akzeptables Verhalten eines Mitarbeiters eines Rettungsdienstes. Das erforderliche Vertrauensverhältnis für eine weitere Zusammenarbeit ist nicht mehr vorhanden.
Der Beklagte hatte bereits vor dem Ausspruch der Kündigung unter dem 04.10.1999 folgendes Schreiben an den Kläger gerichtet (Bl. 73 d. A.):
Letztmalige Abmahnung
Sehr geehrter Herr G.,
bereits mit Schreiben vom 21. Oktober 1998 und 27. Oktober 1998 mußten wir Sie wegen Fehlverhaltens im Zusammenhang mit den arbeitsvertraglichen Pflichten eines Rettungsdienstmitarbeiters abmahnen. Offensichtlich haben unsere deutlichen Hinweise bei Ihnen nicht den erhofften Erfolg gehabt. Wir mußten durch ein Schreiben des Landrats des I.-Kreises feststellen, daß sie am 28.09.1999 einen Transportauftrag der Rettungsleitstelle nicht ausführten. Sie haben mit deutlicher Sprache und mit dem Hinweis auf den Feierabend den Einsatzauftrag zu einem tragischen Verkehrsunfall abgelehnt.
Wir sind nicht mehr bereit, dieses untragbare Verhalten länger hinzunehmen. Ausschließlich aus sozialen Gründen sehen wir heute davon ab, Ihnen zu kündigen. Sie werden hiermit letztmals abgemahnt mit dem ausdrücklichen Hinweis, daß Ihr Arbeitsverhältnis bei dem nächsten Fehlverhalten unweigerlich gekündigt wird und Sie mit weiterer Nachsicht nicht mehr rechnen können.
Dem Schreiben des Beklagten vom 04.10.1999 war folgendes Schreiben des Landrats des I.-Kreises vom 29.09.1999, gerichtet an den Geschäftsführer des Beklagten, als Anlage beigefügt (Bl. 25, 26 d. A.):
Sehr geehrter Herr S.,
am 28. September 1999 kam es auf der B 88 zwischen I. und L. zu einem tragischen Unglücksfall mit drei eingeklemmten Personen.
Von der Leitstelle wurde der RTW 14/83/2 um 16.36 Uhr zu diesem Unfall alarmiert, rückte aber nicht aus. Nach Rückfrage der Leitstelle bei der anderen RTW-Besatzung gaben diese die Auskunft über folgende Äußerung der Besatzung des 14/83/2: „Die Leitstelle solle sie am A… lecken, wir haben jetzt Feierabend!”
In dieser Handlung sehe ich eine Arbeitsverweigerung, wenn nicht sogar eine unterlassene Hilfeleistung.
Ich fordere Sie hiermit als Träger des bodengebundenen Rettungsdienstes auf, entsprechende angemessene Disziplinarmaßnahmen einzuleiten.
Teilen Sie mir bitte bis zum 04. Oktober 1999 die Namen und Privatanschriften der Besatzung des RTW 14/83/2 sowie die von Ihnen beabsichtigten Disziplinarmaßnahmen mit.
Anhand dieser Mitteilung werde ich entscheiden, ob seitens des Trägers eine Anzeige wegen unterlassener Hilfeleistung erfolgt.
Sollten weitere Probleme in personeller Hinsicht auftreten, so sehe ich mich veranlaßt, entsprechend § 15 ThürRettG zu prüfen, ob eine weitere Genehmigung zur Durchführung des Rettungsdienstes aufrechterhalten werden kann.
Die Abmahnung vom 04.10.1999 ist vom Beklagten mit Schreiben vom 07.10.1999 zurückgenommen worden. Dieses Schreiben wurde nicht zu den Akten gereicht.
Der Kläger hat sich mit seiner Klage vom 25.10.1999 gegen die Kündigung vom 19.10.1999 gewandt. Er hat beantragt,
1) festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche Kündigung noch durch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung vom 19.10.1999 beendet worden ist;
2) den Beklagten zu verurteilen, den Kläger zu den bisherigen Bedingungen über den Ablauf der Kündigungsfrist weiter ...