Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch einer Pflegefachkraft auf Vergütungszahlung für die Zeit einer Corona-Quarantäne
Leitsatz (redaktionell)
Die Corona-Quarantäne ist als ein persönliches Leistungshindernis zu bewerten, dass der die Quarantäne begründende Gefahrenverdacht variiert und abhängig ist vom Einzelfall sowie weiteren subjektiven Faktoren. Die besonderen persönlichen Verhältnisse des Arbeitnehmers sind derart betroffen, dass Rückwirkungen auf seinen körperlichen oder seelischen Zustand bestehen, womit stets ein personenbezogener Grund anzunehmen ist.
Normenkette
BGB § 616 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Erfurt (Entscheidung vom 01.12.2022; Aktenzeichen 1 Ca 470/22) |
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Erfurt vom 01.12.22 - 1 Ca 470/22 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um einen Anspruch auf Vergütungszahlung für die Zeit einer Corona-Quarantäne.
Die Beklagte betreibt Pflegeeinrichtungen. Die Klägerin ist bei der Beklagten seit dem 15.12.2020 als Pflegefachkraft zu einem Gehalt von zuletzt 3.196,22 € brutto beschäftigt.
Bei einem betrieblichen Test wurde bei der Klägerin Anfang November 2021 eine Corona-Infektion festgestellt. Trotz bestehender Impfempfehlung war die Klägerin zu diesem Zeitpunkt nicht geimpft. Aufgrund behördlicher Anordnung des Gesundheitsamtes A... vom 24.11.2021 (Bl. 17 ff. der Gerichtsakte) wurde der Klägerin auferlegt, im Zeitraum vom 06.11. bis zum 18.11.2021 einer häuslichen Quarantäne nachzukommen. Ausweislich der Begründung der behördlichen Anordnung galt bei der Klägerin nach dem labordiagnostischen Untersuchungsbefund vom 05.11.2021 eine SARS-CoV-2-Infektion als gesichert, so dass eine 14-tägige Quarantäne für den Zeitraum 04.11. bis 18.11.2021 berechnet wurde. Die Infektion der Klägerin verlief symptomlos. Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für den Zeitraum der Quarantäne legte die Klägerin nicht vor.
Ausweislich der Abrechnung für November 2021 (Bl. 21 der Akte) zahlte die Beklagte an die Klägerin für November 2021 unter Abzug des Zeitraums vom 06.11. bis 15.11.2021 statt der vollen 3.196,22 € brutto nur einen Betrag von 2.130,81 € brutto. Nicht Gegenstand des Abzugs war der Zeitraum 16.11. bis 20.11.2021, in dem die Klägerin an einem Online-Lehrgang teilgenommen hatte.
Mit Schreiben vom 17.12.2021 (Bl. 22 der Akte) machte die Klägerin Auszahlung des Differenzbetrages von 1.065,41 € brutto geltend, was die Beklagte mit Schreiben vom 22.12.2021 (Bl. 24 der Akte) ablehnte.
Mit ihrer am 21.03.2022 beim Arbeitsgericht eingegangenen und der Beklagten am 29.03.2023 zugestellten Klage hat die Klägerin Zahlung des Differenzbetrages begehrt.
Sie hat die Auffassung vertreten, ihr stehe für die Dauer der behördlich angeordneten Quarantäne ein Vergütungsanspruch gemäß § 616 BGB zu. Der Maßstab für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit im Sinne des § 616 BGB sei in der Rechtsprechung nicht abschließend geklärt. Ein Zeitraum von maximal fünf Tagen sei nicht vertretbar. Vielmehr seien eher die Zeitspannen aus dem Entgeltfortzahlungsgesetz bzw. dem Pflegezeitgesetz von zehn bzw. 20 Tagen oder sogar sechs Wochen heranzuziehen. In Bezug auf die Kausalität der Nichtimpfung sei zu beachten, dass die Klägerin nicht als Kontaktperson, sondern als Selbstinfizierte der Quarantäne unterlag. Nach aktuellen Erkenntnissen, die auch vom wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages und dem Bundesministerium für Gesundheit gestützt würden, könne nicht angenommen werden, dass eine Impfung die Infektion verhindert hätte.
Jedenfalls ergebe sich der Anspruch als Entschädigungsleistung aus § 56 IfSG. Dieser Anspruch sei gemäß § 56 Abs. 5 IfSG durch die Beklagte als Arbeitgeber zu erfüllen. Der Anspruch auf die Entschädigungsleistung sei gemäß § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG nur dann ausgeschlossen, wenn durch die Inanspruchnahme einer Schutzimpfung eine Absonderung hätte vermieden werden können. Als gerichtsbekannt werde dabei vorausgesetzt, dass eine Impfung nicht vor der Infektion, sondern allenfalls vor schweren Krankheitsverläufen hätte schützen können.
Die Klägerin hat zudem angeführt, mit der Weigerung, die vertraglich geschuldete Vergütung zu leisten, verstoße die Beklagte auch gegen Treu und Glauben, da sich die Klägerin mit hoher Wahrscheinlichkeit in Ausübung ihrer Berufstätigkeit mit dem Virus infiziert habe.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie einen Betrag in Höhe von 1.065,41 € brutto zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, ein Anspruch nach § 616 BGB scheide bereits deshalb aus, weil die Norm nur unerhebliche Verhinderungszeiträume von maximal fünf Tagen umfasse. Die Klägerin sei hingegen zehn Tage an der Arbeitsleistung verhindert gewesen.
Auf § 3 EFZG könne sich die Klägerin nicht berufen, weil die fehlende Impfung ein schuldhaftes Verhalten dar...