Entscheidungsstichwort (Thema)
Insolvenzanfechtung wegen inkongruenter Deckung
Leitsatz (amtlich)
Vereinbart der Schuldner mit einem Dritten, dieser solle für ihn die Lohnzahlungen an seine Arbeitnehmer erbringen, bewirkt die Mittelbarkeit dieser Zahlung in der Regel eine inkongruente Deckung. Das gilt jedoch dann nicht, wenn Schuldner und Dritter von demselben Geschäftsführer und Gesellschafter wirtschaftlich wie ein einheitlicher Betrieb geführt wurden, der Arbeitnehmer auch für den Dritten tätig war und seine Vergütung in der Vergangenheit mehrfach von dem Dritten erhielt.
Normenkette
InsO § 131 Abs. 1, § 133 Abs. 1, § 143 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Nordhausen (Urteil vom 25.01.2011; Aktenzeichen 1 Ca 651/10) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Nordhausen vom 25. Januar 2011 – 1 Ca 651/10 – in Ziff. 2) abgeändert.
Die Widerklage wird abgewiesen.
Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens hat der Kläger zu 33,33 v. H. und der Beklagte zu 66,67 v. H. zu tragen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Insolvenzanfechtung.
Im Jahr 2002 wurde die W. & M. Bau GmbH gegründet. Gegenstand ist die Errichtung, Reparatur und Sanierung von Bauwerken aller Art. Seit April 2008 ist Herr W. alleiniger Geschäftsführer und Gesellschafter.
Ende 2006 wurde die W. Spezialbau GmbH gegründet und am 23. Januar 2007 im Handelsregister eingetragen. Alleiniger Geschäftsführer und Gesellschafter ist Herr W.. Gegenstand des Unternehmens ist die Betonsanierung, Spritzbeton, Ankertechnik und Bauwerksanierung. Die W. Spezialbau GmbH führte hauptsächlich Aufträge der W. & M. Bau GmbH, wie z. B. Spezialbohrungen, aus. Die beiden Firmen unterhielten denselben Geschäftssitz und nutzten denselben Geschäftsraum. Beide Gesellschaften führten Verrechnungskonten. Forderungen wurden nicht ausgezahlt, sondern in der jeweiligen Buchhaltung erfasst, im Verrechnungskonto eingestellt und intern auf ein anderes Konto umgebucht. Bei der W. Spezialbau GmbH waren zuletzt ca. 8 bis 10 Arbeitnehmer beschäftigt.
Der Kläger war vom 1. August 2007 bis zum 31. Januar 2009 bei der W. Spezialbau GmbH in M. als Polier mit einer monatlichen Bruttovergütung von 2.500,00 EUR, fällig zum 15. des Folgemonats, beschäftigt. Er war dabei auch für die W. & M. Bau GmbH tätig. So nahm er beispielsweise am 22. Oktober 2007 für die W. & M. Bau GmbH an einer Bauberatung vor Ort mit dem Planungsbüro teil (Protokoll Bl. 127 d. A.).
Die W. & M. Bau GmbH überwies dem Kläger am 28. August 2008 den Restlohn für Juni 2008 in Höhe von 755,38 EUR, am 11. September 2008 einen Abschlag für Juli in Höhe von 800,00 EUR, am 2. Oktober 2008 den Restlohn für Juli in Höhe von 752,25 EUR, am 14. Oktober 2008 einen Abschlag für August in Höhe von 800,00 EUR, am 3. November 2008 den Restlohn für August in Höhe von 752,25 EUR sowie am 17. November 2008 einen Abschlag für September in Höhe von 800,00 EUR.
Darüber hinaus überwies sie dem Kläger am 28. November 2008 den Restlohn für September 2008 in Höhe von 752,25 EUR, am 18. Dezember 2008 einen Abschlag für Oktober in Höhe von 800,00 EUR und am 12. Januar 2009 den Restlohn für Oktober 2008 in Höhe von 752,25 EUR jeweils mit dem Zusatz „für W. Spezialbau”.
Neben dem Kläger erhielten sechs weitere Arbeitnehmer der M. Spezialbau GmbH einen Abschlag für September 2008 sowie fünf weitere Arbeitnehmer ihren Restlohn für September und Oktober 2008 von der W. & M. Bau GmbH.
Am 19. Januar 2009 ging beim Amtsgericht Mühlhausen ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der W. Spezialbau GmbH (fortan: Schuldnerin) ein. Mit Beschluss des Amtsgerichts Mühlhausen vom 23. Januar 2009 wurde die vorläufige Verwaltung über das Vermögen und den Geschäftsbetrieb der Schuldnerin angeordnet und der Beklagte zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestimmt. Am 29. April 2009 wurde über das Vermögen der Schuldnerin das Insolvenzverfahren wegen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter ernannt.
Darüber hinaus wurde mit Beschluss vom 29. April 2009 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der W. & M. Bau GmbH eröffnet.
Der Beklagte erklärte gegenüber dem Kläger mit Schreiben vom 14. April 2010 (Bl. 6 ff. d. A.) die Anfechtung der Lohnzahlungen vom 30. Oktober 2008 (dem Konto des Klägers am 3. November 2008 gutgeschrieben), 17. November 2008, 28. November 2008, 17. Dezember 2008 (dem Konto des Klägers am 18. Dezember 2008 gutgeschrieben) und 12. Januar 2009 in Höhe von insgesamt 3.656,75 EUR und forderte den Kläger auf, diesen Betrag zurückzuzahlen.
Der Kläger hat mit der am 30. April 2010 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage die Feststellung begehrt, nicht zur Rückzahlung des vom Beklagten geltend gemachten Betrages verpflichtet zu sein. Der Beklagte hat widerklagend vom Kläger die angefochtenen Lohnzahlungen in Höhe von 3.656,75 EUR nebst Zinsen verlangt. Wegen des erstinstanzlichen Vorbringen...