Entscheidungsstichwort (Thema)
Offensichtlicher Missbrauch der Handlungsvollmacht eines Betriebsleiters durch Unterbreitung von Angeboten zur Aufhebung bereits abgeschlossener Aufhebungsverträge gegenüber ehemaligen Mitarbeitern
Leitsatz (amtlich)
Kommt ein mit Handlungsvollmacht ausgestatteter Betriebsleiter, der mehrere Prozesse gegen seine Arbeitgeberin führt, nur für einen Tag in den Betrieb und fertigt er dort vier Schreiben an ehemalige Mitarbeiter, deren Arbeitsverhältnisse zuvor durch die Geschäftsführerin beendet wurden, um diese Maßnahmen zu "korrigieren", kann das ein gewichtiger Anhaltspunkt für einen evidenten Missbrauch seiner Handlungsvollmacht sein, insbesondere wenn er und die vier von ihm begünstigten Mitarbeiter alle durch einen Rechtsanwalt vor Gericht gegen die Beklagte vertreten werden und er in den Vorteilsschreiben davon spricht, dass auch die Beklagte sicher eines Tages die Fehlerhaftigkeit ihrer Maßnahmen einsehen werde.
Überträgt ein Mandant seinem Prozessvertreter in einem Prozess über den Bestand seines Arbeitsverhältnisses auch das Mandat zum Abschluss einschlägiger vertraglicher Vereinbarungen, wird ihm die hierbei erlangte Kenntnis seines Anwaltes zu einem evidenten Vollmachtmissbrauchs zugerechnet (§ 166 BGB analog).
Normenkette
BGB §§ 147, 138, 166, 123, 242; ZPO § 85
Verfahrensgang
ArbG Nordhausen (Entscheidung vom 30.11.2016; Aktenzeichen 2 Ca 212/12) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Nordhausen vom 30.11.2016 - 2 Ca 212/12 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit eines Aufhebungsvertrags und einen hierauf basierenden Anspruch des Klägers auf Zahlung eines Annahmeverzugslohns.
Der Kläger war seit Juni 2008 bei der Beklagten als Monteur angestellt. Vom Juli 2009 bis August 2011 war er vorübergehend als Bauleiter tätig. Mit der Einstellung von Herrn N. als Bauleiter arbeitete er wieder als Monteur mit einem Stundenlohn von 13,00 Euro. Neben der Montageabteilung hat die Beklagte an ihrem Sitz eine Produktionsstätte. Hier war der mit Handlungsvollmacht ausgestattete Betriebsleiter Herr J. eingesetzt, der seit längerem arbeitsunfähig erkrankt war.
Wegen unterschiedlicher Vorstellungen zur Arbeitsqualität des Klägers führte die Beklagte mit ihm etwa quartalsweise Kritikgespräche. Im August 2011 sprach man über einen möglichen neuen Einsatzes als Bauleiter. Die Beklagte bat ihn, nicht zu kündigen.
Zur Abrechnung der Arbeitszeit müssen Monteure das Formular "Arbeitsstunden und Spesennachweis" (im Folgenden: Stundennachweis) unter Angabe des Datums, der Ankunftszeit auf der Baustelle, der dort gearbeiteten Stunden und der Abfahrtzeit ausfüllen (Bl. 256 - 261 d.A.). Die Firmenfahrzeuge sind mit einem Navigationsgerät ausgestattet, das die Fahrzeugdaten nach Datum, Uhrzeit, Abfahrtsort, gefahrenen Kilometern und Ankunftsort dokumentiert (Bl. 252 - 255 d.A.). Die Fahrzeiten auf auswärtige Baustellen vergütet die Beklagte mit einem geringeren Stundensatz. Die Stundennachweise werden in der Buchhaltung abgegeben, der zur Lohnabrechnung auch die Fahrzeugdaten vorliegen. Herr N. verglich diese mit Stundennachweisen der Monteure (Bl. 252 - 261 d.A.). Im Fall des Klägers, des Herrn I. und des Herrn V. stellte er Abweichungen in einem für ihn nicht erklärbaren zeitlichen Umfang fest. Für den 01.12.2011 wichen die Stundenangaben des Klägers um sieben Minuten, für den 05.12.2011 um 29 Minuten, für den 07.12.2011 um 38 Minuten, für den 08.12.2011 um drei Stunden und 27 Minuten, für den 09.12.2011 um zwei Stunden und 29 Minuten und für den 13.12.2011 um eine Stunde und sieben Minuten ab. Dies teilte er der Prokuristin Frau H. mit, die einen Datenvergleich erstellte (Bl. 252 - 266 d.A.). Sie informierte die Geschäftsführerin, die die betroffenen Mitarbeiter und die Lohnbuchhalterin Frau K. zu einem Personalgespräch nach der Betriebspause am 13.02.2012 bat.
Am 13.02.2012 hielten die Beklagte dem Kläger die festgestellten Abweichungen zwischen den Stundennachweisen und Fahrzeugdaten vor und baten ihn um eine Erklärung. Er wandte ein, dass es sich nur um Abweichungen von wenigen Minuten handeln könne. Er wurde im Datenvergleich auf den Montageeinsatz am 05.12.2011 in B. U. und die weiter Abweichungen von mehr als einer halben Stunde verwiesen. Ob sich hieraus ein Disput darüber entspann, ob sich der Kläger solche Vorwürfe gefallen lassen müsse, ist ebenso streitig, wie der Vorhalt eines Arbeitszeitbetrugs, die Drohung mit einer außerordentlichen Kündigung, deren Folgen beim Arbeitsamt, einer Strafanzeige, einer höheren Schadensersatzforderung und einem schlechten Arbeitszeugnis, sollte er keinen Aufhebungsvertrag unterzeichnen. Gleiches gilt für den Umstand, ob ein Aufhebungsvertrag bereits vorgelegen habe oder erst auf Wunsch des Klägers erstellt worden sei. Unstreitig wurde ein solcher unterzeichnet (Bl. 9 - 10 d.A.). Dies tat später auch Herr I.. Frau K. wurde außerordentlich gekündi...