Leitsatz (amtlich)

Anrechnung der Wehrdienstzeit bei den Grenztruppen der DDR als Eisenbahndienstzeit

 

Leitsatz (redaktionell)

Hinweis der Geschäftsstelle

Das Bundesarbeitsgericht bittet, sämtliche Schriftsätze in siebenfacher Ausfertigung bei ihm einzureichen.

 

Verfahrensgang

ArbG Erfurt (Urteil vom 13.12.1995; Aktenzeichen 7 Ca 465/93)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 27.01.2000; Aktenzeichen 6 AZR 429/98)

 

Tenor

1. Das Urteil des Arbeitsgerichts Erfurt vom 13.12.1995 – 7 Ca 465/95 – wird abgeändert.

2. Es wird festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger die Zeit vom 06.05.1981 bis 28.10.1982 als Dienstzeit im Sinne des § 5 LTVDR anzuerkennen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.

4. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darum, ob die Zeit des durch den Kläger abgeleisteten Grundwehrdienstes bei den Grenztruppen der DDR auf die Eisenbahndienstzeit (Beschäftigungszeit) im Sinne des Lohntarifvertrages für die Arbeiter der Deutschen Reichsbahn (im weiteren: LTV genannt) anzurechnen ist.

Wegen des erstinstanzlichen Vorbringens und der gestellten Anträge wird gem. § 543 Abs. 1 ZPO auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt:

In Wahrnahme der Tarifautonomie hätten die Tarifvertragsparteien zulässigerweise Zeiten des Grundwehrdienstes von den Dienstzeiten ausgenommen. Diese Regelung verstoße nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 3 GG. Den Vertragsparteien stehe es frei Zeiten außerhalb einer unmittelbaren Beschäftigung bei dem jeweiligen Arbeitgeber als Beschäftigungszeit anzuerkennen oder nicht. Neben den Wehrdienstzeiten hätten die Tarifvertragsparteien auch andere für den Staat geleistete Zeiten angerechnet. Soweit die Tarifvertragsparteien die Anrechnung solcher Dienste vom Inhalt der jeweiligen Tätigkeit abhängig machen wollen, sei ein solches System von vornherein nicht sachwidrig, solange die vorgenommene Differenzierung sachgerecht erfolgt sei. Die Tarifvertragsparteien hätten hierbei einen weiten Regelungsspielraum.

Vorwiegend sei danach differenziert worden, ob die zusätzlich anzuerkennenden Zeiten im öffentlichen Interesse und in einer den Anforderungen des öffentlichen Dienstes genügenden demokratischen und rechtsstaatlichen Verwaltung geleistet worden seien. Dies treffe für eine Tätigkeit bei den Grenztruppen der DDR nicht zu. Eine solche Tätigkeit habe darauf abgezielt, elementare Menschen- und Grundrechte zu verletzen. Aus Opferschutzgesichtspunkten heraus sei es sachlich vertretbar, ohne Berücksichtigung einer individuellen Verwicklung in Menschenrechtsverletzungen und Standortwahlmöglichkeiten die Tätigkeit für die Grenztruppen der DDR einheitlich negativ zu bewerten.

Die Angehörigen der Grenztruppen als Hauptorgan einer gegen die Bürger der DDR gerichteten Repression sollten nach dem Willen der Tarifvertragsparteien durch die Anerkennung der betreffenden Zeiten nicht hiervon profitieren.

Da alle Angehörigen der Grenztruppen als mögliche Teilnehmer an Menschenrechtsverletzungen in Betracht kämen, lasse es die Rücksichtnahme auf die Interessen der Opfer als vertretbar erscheinen, nicht nach der Art des Zugangs zu den Grenztruppen und den möglichen Einzelhandlungen der Angehörigen zu differenzieren. Demgegenüber erscheine die Nichtanerkennung der vergleichsweise nur kurze Zeit des Grundwehrdienstes zumutbar.

Gegen das ihm am 23.01.1996 zugestellte Urteil lies der Kläger am 22.02.1996 Berufung einlegen. Mit am 20.03.1996 eingegangenen Schriftsatz beantragte er die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 22.04.1996. Diesem Antrag wurde stattgegeben. Die Berufungsbegründung ging am 22.04.1996 bei Gericht ein.

Der Kläger rügt die Rechtsauffassung des Arbeitsgerichts dahingehend, daß die Nichtanerkennung des Grundwehrdienstes bei den Grenztruppen der DDR als Beschäftigungszeit nicht gegen den Gleichheitssatz verstoße. Dies um so mehr als durch einen Anwendungshinweis der Beklagten zu § 22 Abs. 1 ÜTV eine Gleichstellung mit denjenigen Arbeitnehmern erfolgt sei, die ihren Grundwehrdienst bei der NVA geleistet hätten.

Mit der Anerkennung der Beschäftigungszeit, die vor der Tätigkeit als Angehöriger der Grenztruppen der DDR liege, sei das tragende Argument der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 23.06.1994 – 6 AZR 911/93 – die Rücksichtnahme auf die Opfer relativiert. Auch die Ausführungsbestimmung 2. zu § 5 LTV spreche für die Anerkennung der Beschäftigungszeit, da eine Tätigkeit des Arbeitnehmers bei den Grenztruppen auch während der Zeit der Grundausbildung bestanden habe. Er sei also auch während dieser Zeit Angehöriger eines Repressivorgangs gewesen. Es sei nichts dagegen einzuwenden, wenn eine Differenzierung nach durch den einzelnen beeinflußbaren Kriterien erfolgen würde. Es verbiete sich jedoch die „Bestrafung” eines Arbeitnehmers wegen seiner Zugehörigkeit zu den Grenztruppen der DDR aufgrund der von ihm nicht beeinflußb...

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